Vorschau: SC Freiburg – Hertha BSC: Von wegen Favorit

Vorschau: SC Freiburg – Hertha BSC: Von wegen Favorit

Und plötzlich war es dann eigentlich doch gar nicht mehr so schlimm, dass man aktuell nicht ins Stadion darf. Waren auch schon, mit Ausnahme des Derbysieges, die vorangegangenen Heimspiele nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig, unterbot Hertha das bisher Dargebotene am Dienstagabend nochmal um einiges. Statt mit breiter Brust gegen ein Mainz 05, das mitten im Abstiegskampf steckt, aufzutreten, war die Alte Dame trotz der Rückkehr von Matheus Cunha komplett ideenlos, sodass das Ergebnis tatsächlich noch das mit Abstand beste am Spiel war. Dass es auch anders geht, hat die Mannschaft in dieser Spielzeit bereits des Öfteren bewiesen. Umso unerklärlicher ist es, wie eine derartige Leistung zustande kommen kann. Konnte man die dürftige Punkteausbeute bisher noch mit der Stärke der Gegner erklären, zählt diese Ausrede nun nicht mehr. Hertha muss jetzt anfangen, Siege einzufahren. Der nächste Versuch startet am Sonntagnachmittag gegen den SC Freiburg.

Im Vorfeld der Partie gegen den SC haben wir mit Freiburg-Experte Mischa, unter anderem bekannt durch seinen Blog zerstreuung-fussball.de, gesprochen, der uns unter anderem erklärt, wie die Breisgauer nach schwachem Saisonstart wieder in die Spur fanden.

Der ewige Fluch der guten Tat

Mit Robin Koch und Luca Waldschmidt hat der SC Freiburg im Sommer zwei Nationalspieler verloren. (Quelle: THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images)

Papiss Demba Cissé, Maximilian Philipp, Caglar Söyüncü, Matthias Ginter… Die Liste der Spieler, die in Freiburg aus-oder auf hohem Niveau weitergebildet wurden, um dann von finanziell potenteren Vereinen abgeworben zu werden, könnte noch eine Weile fortgesetzt werden. Im zurückliegenden Transferfenster kamen die beiden Nationalspieler Robin Koch und Luca Waldschmidt hinzu. Gerade der Abgang des Defensivspezialisten fällt laut Mischa ins Gewicht: „Koch war sicher der schwierigste Abgang. Das sah man insbesondere zu Saisonbeginn. Es fehlt körperliche Präsenz in der Defensive.“

Doch wie auch schon in den vergangenen Jahren scheint es Freiburg wieder gelungen zu sein, die Abgänge durch Spieler aus den eigenen Reihen sowie Neuverpflichtungen aufzufangen. So ist der im Vorjahr an Union Berlin ausgeliehene Keven Schlotterbeck ein Stabilisator in der Abwehrkette: „Seit er zentral in der Dreierkette spielt, steht man wieder etwas besser.“ Im Gegensatz zu Schlotterbeck, legte man für einen anderen Akteur eine nicht gerade unbeachtliche Summe von rund 10 Millionen Euro auf den Tisch. Der Franzose Baptiste Santamaria wurde ins Breisgau gelotst. Zu ihm macht Mischa den Vergleich mit einem Freiburger aus, der vor einigen Jahren den Weg an die Spree gefunden hat: „Santamaria erinnert manchmal an Darida: Immer der laufstärkste Spieler, gut in den Zweikämpfen, ist aber kein Abräumer, sondern auch technisch stark.“  

Ein Spieler, der es Darida in diesem Sommer gleichtat und ebenfalls von Freiburg nach Berlin wechselte, ist Alexander Schwolow, dessen Abgang aus Freiburg einige unglückliche Umstände nach sich zog: „Hier sollte eigentlich Flekken der Ersatz sein, doch der zog sich vor dem ersten Pokalspiel eine größere Verletzung zu. Man konnte kurzfristig noch Müller aus Mainz ausleihen. Er fiel weniger auf. Aber es gibt doch einen sehr großen Kontrast zu Schwolow. Immer wieder lässt Müller den Ball nach vorne prallen. In dieser Disziplin war Schwolow herausragend. Er fing Bälle oder wehrte sie sauber zur Seite ab.“, ordnet Mischa ein.

Nach Holperstart wieder in der Spur

Streichs Umstellungen brachten den SC wieder in die Erfolgsspur. (Photo by INA FASSBENDER/POOL/AFP via Getty Images)

Für den schlechten Saisonstart (sechs Punkte nach acht Spieltagen) sieht Mischa jedoch auch andere Gründe als die genannten Abgänge: „Das Auftaktprogramm war gar nicht so leicht, wie man es vielleicht gedacht hat. Bremen war zu dem Zeitpunkt recht gut drauf.

Niederlagen gegen Leverkusen, Dortmund und Leipzig, Unentschieden gegen Union, Wolfsburg und Bremen und ein Sieg gegen Stuttgart schienen okay. Auch weil die Leistungen alle in Ordnung gingen. Dann kam aber die erste Halbzeit gegen Mainz 05 und da war die Konterabsicherung katastrophal. Man lag früh 0:3 zurück, hätte aber auch mehr Tore kassieren können.“

Nach der Niederlage gegen den FSV berappelten sich die Freiburger jedoch eindrucksvoll und holten aus den vergangenen vier Partien acht Zähler. Gerade die Umstellungen von Christian Streich sieht Mischa hierfür als Hauptgrund: „Nach dem Spiel gegen Mainz stellte Streich auf ein 3-4-3 um und legte wieder einen größeren Fokus auf das Spiel gegen den Ball und den Umschaltmoment. Das hat gut funktioniert. Gegen Augsburg war es immerhin stabil. Gegen Gladbach war es auch offensiv herausragend. Freiburg hat gegen die Borussia mit 4,02 den zweithöchsten xG-Wert in dieser Saison überhaupt erspielt. Nur die Bayern gegen Schalke waren da noch besser. Die Chancenverwertung war in einigen Partien ein Problem. Erst gegen Schalke wurde das wieder etwas besser.“

Hertha zum Siegen verdammt

Während man vor dem Spiel gegen Mainz noch davon sprach, dass die kommenden Spiele allesamt welche seien, in denen Hertha qua der Favoritenstellung und der Tatsache, dass es nur noch gegen Teams ginge, die unter Hertha stünden, unbedingt gewinnen müsse, sehen die Vorzeichen jetzt anders aus. Der SC befindet sich gerade in aufsteigender Form und konnte insbesondere gegen Gladbach spielerisch auf ganzer Linie überzeugen. Hertha vor diesem Hintergrund die klare Favoritenrolle zuzuschieben, wäre daher vermessen. Dass das Team von Bruno Labbadia dennoch ohne Wenn und Aber gewinnen muss, das hat es sich aufgrund der katastrophalen Darbietung gegen Mainz selbst zuzuschreiben. Wie Hertha mit diesem Druck umgehen kann, wird sich am Sonntag zeigen.

Titelbild: TOM WELLER/POOL/AFP via Getty Images

Vorschau: Borussia Mönchengladbach – Hertha BSC: Der Härtetest vor den Wochen der Wahrheit

Vorschau: Borussia Mönchengladbach – Hertha BSC: Der Härtetest vor den Wochen der Wahrheit

Derbysieger, Derbysieger… Sorry, musste nochmal sein. Nach einer Woche voller Jubel, Trubel, Heiterkeit ob der erfolgreichen Verteidigung der Stadtmeisterschaft geht nun der Ernst des Lebens wieder los. Denn worüber der Sieg gegen Union ein wenig hinwegtäuschte, ist, dass Hertha rein punktemäßig nach wie vor den Erwartungen hinterherhinkt. In den nächsten Wochen hat das Team von Bruno Labbadia allerlei Chancen, dies zu ändern. Bis zum Start der Rückrunde stehen mit Mainz, Freiburg, Schalke, Bielefeld, Köln und Hoffenheim Gegner auf dem Spielplan, die allesamt schlagbar scheinen. Wie Hertha mit dieser Favoritenrolle umgehen kann, wird zu beobachten sein. Bevor es dazu kommt, darf man sich aber am Samstagnachmittag noch einmal in der Position des Außenseiters wähnen. Mit Borussia Mönchengladbach geht es gegen die Positivüberraschung der vergangenen Saison.

Um einen detaillierten Einblick in die Lage bei der Borussia zu bekommen, haben wir mit Gladbach-Expertin Yvonne gesprochen.

Quo vadis, BMG?

Späte Gegentore machen Gladbach aktuell zu schaffen. (THILO SCHMUELGEN/POOL/AFP via Getty Images)

Auch als Nicht-Borusse neigt man dazu, Mitleid mit den Anhängerinnen und Anhängern aus Mönchengladbach zu haben. Nach einer tollen Saison mit attraktivem, vertikalem Fußball gelingt den „Fohlen“ der Einzug in die Champions League. Dort wird man in eine Gruppe mit den europäischen Schwergewichten Inter Mailand und Real Madrid gelost, wird in dieser Hammergruppe gar Zweiter – und das alles ausgerechnet in dem Jahr, in dem kein einziger Fan live im Stadion an diesem Spektakel teilhaben darf. Umso höher ist die Leistung der Borussen in diesem Wettbewerb zu bewerten.

Es ist immer schwierig zu beurteilen, welchen Einfluss eine derartige Mehrfachbelastung auf einen Saisonverlauf hat. Auch in der Vorsaison tanzte Gladbach zu diesem Zeitpunkt noch auf allen drei Hochzeiten, hatte aber keinen derart eng getakteten Spielplan, wie es jetzt aufgrund von Corona der Fall ist. Blickt man auf die reinen Zahlen, könnte man durchaus ableiten, dass dies seine Spuren hinterlässt. Mit 16 Zählern nach zehn Spieltagen rangiert die Mannschaft von Trainer Marco Rose auf dem siebten Rang. Zum selben Zeitpunkt der Vorsaison grüßte Gladbach von der Tabellenspitze mit 22 eingefahrenen Punkten.

Dass es jetzt unter dem Strich sechs Punkte weniger sind, liegt vor allem daran, dass Gladbach zum Ende der Partie oft Nachlässigkeiten zeigt: „Gladbach kassierte leider generell das ein oder andere Gegentor in der Schlussphase und verlor dadurch wichtige Punkte (zum Beispiel gegen Union, Wolfsburg und eben auch Augsburg).“, sagt Yvonne. Entsprechend ernüchtert fällt auch das Zwischenfazit zur bisherigen Bundesligasaison aus: „Es sind ja „nur“ 3 Punkte zu Platz 4. Aber es wurde eben leider der ein oder andere Punkt sehr unnötig verspielt.“

(K)ein Kader für drei Wettbewerbe?

In der Innenverteidigung wird es bei Gladbach personell dünn. (Frederic Scheidemann/Getty Images)

Zugegeben: Die Arbeit von Gladbachs Geschäftsführer Sport Max Eberl kritisch zu beleuchten, scheint mit jedem Jahr schwieriger zu werden. In der zurückliegenden Transferphase stand er vor der Herausforderung, diesen ohnehin schon qualitativ hochwertigen Kader sinnvoll zu ergänzen, sodass die Dreifachbelastung gestemmt werden kann.

Wie so ziemlich jede Herausforderung scheint ihm auf den ersten Blick auch das wieder erfolgreich gelungen zu sein. So wurde die Offensive mit Ex-Herthaner Valentino Lazaro und Hannes Wolf verstärkt. Beide Spieler haben bereits in Salzburg unter Marco Rose trainiert und können somit eine sofortige Hilfe sein – so war jedenfalls der Gedanke dahinter. Die Realität stellt sich indes etwas anders dar. Während Hannes Wolf immerhin in jeder Ligapartie zum Einsatz kam – wenngleich auch nur viermal von Beginn an – fiel Lazaro verletzungsbedingt in den ersten fünf Spieltagen aus und stand auch danach erst ein einziges Mal in der Anfangsformation. So ordnet Yvonne ein: „Die Neuzugänge zu bewerten, ist momentan gar nicht so einfach. Wolf und Lazaro haben natürlich gute Ansätze, allerdings spielen beide bisher zu wenig, als dass man da ein festes Urteil bilden könnte. Man muss neuen Spielern ja auch immer ein bisschen Zeit geben.“

Die Fohlen mit personellem Engpass

Diese Zeit hat Gladbach allerdings aufgrund mehrerer Umstände aktuell nicht. Denn so gut bestückt die Offensive eigentlich ist, so sehr offenbaren sich auch hier kleinere Probleme. Jonas Hofmann, der wohl beste Borusse in den ersten Saisonwochen, fällt seit dem achten Spieltag durch einen Muskelbündelriss, den er sich beim Einsatz für den DFB zugezogen hat, aus. Bislang gelang es weder Wolf noch Lazaro, sich nachhaltig dafür zu empfehlen, diese klaffende Lücke zu schließen.  

Während derartige Verletzungen und kleinere Formdellen in der Offensive aufgrund der individuellen Klasse von – zum Beispiel – Plea und Stindl aufgefangen werden können, ist es indes in erster Linie die Abwehr, die gerade ein wenig Sorgen bereitet, wie Yvonne sagt: „Man merkt allerdings doch, wie schnell sich Verletzungen auswirken. In der Abwehr fehlten jetzt Elvedi und Jantschke verletzt, Bensebaini war in Quarantäne. Das schwächt die Defensive natürlich schon.“ Zwar ist Elvedi inzwischen wieder genesen. Durch den Ausfall von Jantschke stehen in Elvedi und Ginter jedoch lediglich zwei fitte Innenverteidiger zur Verfügung. Zwar hat man zwar theoretisch auch noch Mamadou Doucouré im Kader. Der Franzose kam in seinen nunmehr viereinhalb Jahren am Niederrhein allerdings, aufgrund einer dramatischen Verletzungshistorie, erst auf zwei Bundesligaminuten und ist daher wohl keine ernsthafte Alternative für die Startformation. Stattdessen rückte jüngst der eigentlich im zentralen Mittelfeld beheimatete Christoph Kramer auf die Position neben Matthias Ginter. Es ist also nicht auszuschließen, dass Max Eberl hier im Winter nochmal nachjustiert.  

Mit Rückenwind in die Wochen der Wahrheit

Gleichwohl die Favoritenrolle am Samstag ganz klar auf Seiten der Hausherren anzusiedeln ist, scheint Gladbach – auch aufgrund des kräftezehrenden Spiels in Madrid am Mittwoch – nicht unschlagbar. In erster Linie wird es für Hertha aber darum gehen, den positiven Trend der letzten Wochen – mit Ausnahme der zweiten Halbzeit gegen Dortmund – zu bestätigen und sich Selbstbewusstsein für die eingangs erwähnten restlichen Spiele der Hinrunde zu holen, in denen Hertha ohne Wenn und Aber ausgiebig punkten muss.

(Photo by ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images)

Da kommt es gerade rechtzeitig, dass sich Krzystof Piatek im Derby via Doppelpack warmschießen konnte. Denn Torgefahr ging nach dem Ausfall von Jhon Cordoba quasi einzig und allein von Matheus Cunha aus, der gegen Gladbach aufgrund einer Gelbsperre zum Zusehen verdammt ist. Wie Labbadia den Brasilianer ersetzen will, wird die spannende Frage im Vorfeld der Partie sein. Zumindest dürfte neben Piatek aber auch Javairo Dilrosun nach seinem überzeugenden Jokerauftritt gegen Union ein Kandidat für die Startelf sein. Es gibt also keinerlei Gründe, schon vor Anpfiff die weiße Wahne zu hissen.

*Quelle Titelbild: WOLFGANG RATTAY/POOL/AFP via Getty Images

Vorschau: Hertha BSC – 1. FC Union Berlin: Ein Derby mit umgekehrten Vorzeichen

Vorschau: Hertha BSC – 1. FC Union Berlin: Ein Derby mit umgekehrten Vorzeichen

Die ersten Reizpunkte sind gesetzt: Nachdem Hertha in der Nacht von Montag auf Dienstag die halbe Stadt in ein blau-weißes Fahnenmeer verwandelt hat, ließen die üblichen Reaktionen in den sozialen Netzwerken nicht lange auf sich warten. Während sich die Anhänger der „Alten Dame“ freuten, dass Hertha nach so manchem Marketing-Fehltritt der letzten Jahre (Stichwort: “We try. We fail. We win“) den zuletzt positiv eingeschlagenen Weg fortsetzt und einen echten Coup landet, waren Union-Fans zu großen Teilen weniger angetan. Aber da die Aktion sicherlich nicht in der Absicht entstand, Unionerinnen und Unioner zu begeistern und Hertha-Fans mutmaßlich genauso verstimmt reagiert hätten, wenn ihre Stadt plötzlich voll rot-weißer Fahnen übersät gewesen wäre, sollte man das Ganze nicht zu hoch hängen. Ein nettes Vorgeplänkel vor dem anstehenden Spiel am Freitag: Nicht mehr und nicht weniger.

Immerhin eines scheint die Aktion aber auf beiden Seiten bewirkt zu haben. Trotz der wideren Umstände ist so etwas wie Derbystimmung aufgekommen. Und wenn es in diesen nervenzehrenden Zeiten eines gebrauchen kann, dann sind es (positive) Emotionen. Es ist also angerichtet für die siebte (Pflichtspiel)-Auflage des Berlin-Duells.

Um einen detaillierten Einblick in die sportliche Situation bei den Köpenickern zu bekommen, haben wir mit Sebastian Fiebrig, unter anderem bekannt vom Textilvergehen, gesprochen und ihn gefragt, wie der momentane Aufschwung der Unioner zu erklären ist.

Mit 13 Toren war Sebastian Andersson in der Vorsaison die Lebensversicherung von Union. (Photo by Boris Streubel/Bongarts/Getty Images)

Das verflixte zweite Jahr

Platz 6 in der Tabelle, 16 Punkte und mit 21 erzielten Treffern die zweitbeste Offensive der Liga. Wer diese Zahlen vor der Saison gehört hätte, hätte vermutlich zuallerletzt darauf getippt, dass sie Union Berlin zuzuordnen sind. Immerhin ist hier von einer Mannschaft die Rede, die selbst im Jahr des Aufstiegs nicht gerade durch außergewöhnliche Schlagkraft vor dem Tor auffiel. 54 Treffer genügten letzten Endes, um den Gang in die am Ende erfolgreiche Relegation anzutreten. Zur Einordnung: Mitaufsteiger Paderborn und Köln erzielten im selben Zeitraum 76 respektive 84 Tore. So verwunderte es dann auch nicht, dass Union als krasser Außenseiter, dem nahezu ganz Fußballdeutschland den direkten Wiederabstieg prognostizierte, sein Heil in der Premierensaison im Oberhaus eher in der Defensive suchte und mit 41 geschossenen Toren nur die beiden Absteiger sowie Schalke 04 noch harmloser waren.

Dass Union mit der defensiven Spielweise trotzdem beachtliche 41 Punkte einheimste und damit souverän die Klasse hielt, war vor allem einem Mann zu verdanken: Sebastian Andersson zeichnete für 12 Tore der zurückliegenden Spielzeit hauptverantwortlich. Ganze sieben davon erzielte der Schwede per Kopf. Gerade diese Eigenschaft war es, die Trainer Urs Fischer zu nutzen wusste.  So lautete das Erfolgsrezept in der Regel: Langer Ball auf Andersson, der macht den Ball fest und im Idealfall resultiert aus dem dadurch entstehenden Angriff eine Ecke. Denn die Standards waren für die Köpenicker in dieser Phase überlebenswichtig. Ganze 44 Prozent der Tore kamen nach ruhenden Bällen zustande. Abnehmer der Flanken von zumeist Christopher Trimmel war – wie könnte es anders sein – Sebastian Andersson.

So stand vor der Saison also vor allem die Frage im Raum, ob Union wieder auf die altbewährte Formel setzen oder etwas Neues probieren würde. Immerhin ist nicht umsonst oft die Rede davon, dass das zweite Jahr in der ersten Liga das schwierigste ist, da sich die anderen Teams auf die Spielweise des Neulings einstellen konnten. Union Berlin hat diese Frage für sich sehr schnell und sehr eindeutig beantwortet. So ist von der oftmals abwartenden Spielweise und dem Hoffen auf Standardsituationen nicht mehr allzu viel übrig.

Aus der Not eine Tugend machen

Max Kruse hat das Spiel von Union auf ein neues Level gehoben. (Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Dass Union vom Ansatz aus der Vorsaison abgewichen ist und nun auch vermehrt das Spiel mit dem Ball forciert, hängt zu großen Teilen auch mit der Transferphase zusammen. Zum einen hat der angesprochene Sebastian Andersson den Verein kurz vor Ende der Transferphase verlassen. Zum anderen ist da plötzlich ein gewisser Spieler im Kader, der (und diese Einschätzung wird zerfressen von blankem Neid abgegeben) eigentlich viel zu gut ist, um an der Alten Försterei zu spielen. Die Rede ist natürlich von Max Kruse. Ein Spieler, der aufgrund seiner Spielweise und auch seines Glamours so überhaupt nicht zu Union zu passen schien und der nun nach wenigen Wochen schon den Eindruck vermittelt, als wäre er nie woanders gewesen.

Viele waren gespannt, wie Max Kruse dieses – mit Verlaub – eher destruktiv angelegte Spiel beeinflussen würde. Die Antwort ist: Er hat es um beinahe 180 Grad gedreht. Wobei diese Einschätzung laut Sebastian zu kurz greift: „Den Plan mit dem Ball hatte der Trainer bereits in der vergangenen Saison. Aber die Mannschaft konnte das da nicht so gut umsetzen. Dieses Jahr gibt es Spieler, die in der Spitze das Niveau des gesamten Teams noch einmal gehoben haben. Dazu gehört natürlich Max Kruse in der aktuellen Form. Aber es gibt schon auch andere Spieler wie Knoche, die nicht unwichtig für den Aufbau sind und der regelmäßig die meisten Ballkontakte bei Union hat. Fischer ist ja nicht der dröge Defensivtrainer, als der er gerne mal hingestellt wird, sondern es zeichnet ihn aus, dass er sehr pragmatisch genau den Fußball spielen lässt, zu dem die Mannschaft imstande ist. Es dürfte ihm auch helfen, dass die Mannschaft offensichtlich beim Spiel Dingen begegnet, auf die sie vom Trainerteam vorbereitet wurde.“

So scheint es, als hätte Oliver Ruhnert, Geschäftsführer Sport bei den „Eisernen“, im Sommer, auch fernab der Verpflichtung von Kruse, einen klaren Plan verfolgt, um der Mannschaft in Zusammenarbeit mit Urs Fischer mehr spielerische Elemente zu verleihen. So sagt Sebastian weiter: „Es war ja nicht nur Max Kruse. Auch Robin Knoche wurde verpflichtet. Oder Loris Karius, der noch gar kein Spiel für Union gemacht hat. Nicht zu vergessen solche Verpflichtungen wie Joel Pohjanpalo, Taiwo Awoniyi und Keita Endo. Von letzterem werden wir sicher noch viel hören, wenn er endlich verletzungsfrei bleibt.“

Unions Härtetest beginnt jetzt

(Photo by ANNEGRET HILSE/POOL/AFP via Getty Images)

Zur ganzen Wahrheit des so erfolgreichen Saisonstarts gehört aber auch, dass es die DFL für den Auftakt sehr gut mit Union gemeint hat. Mit Borussia Mönchengladbach hatten die Köpenicker bislang erst ein Topteam auf dem Spielplan. Borussia Dortmund, Leipzig, der FC Bayern, Bayer Leverkusen … all diese Mannschaften folgen erst noch. Dementsprechend ordnet auch Sebastian die Situation ein:  „So ein bisschen ist der Spielplan ja immer Fluch oder Segen. Es war schon vor Saison klar, dass Union von Anfang an wird punkten müssen, weil hinten eher die dicken Brocken warten.“

Dass Union den Zwang, am Anfang punkten zu müssen, aber derart ernst nimmt, war nicht zu erwarten: „Wenn ich mir all das vor Augen halte, muss ich mich eher kneifen. Auch, dass ich in der Tabelle nicht unten schaue, wie viel Abstand Union zu den Abstiegsplätzen hat. Die Integrationskraft der Mannschaft ist vielleicht wirklich das Bewundernswerte und auch die Art und Weise, wie das Trainerteam um Urs Fischer diesen Umbruch moderiert hat. Der Tabellenplatz wird sich bestimmt etwas nach unten entwickeln bis zur Winterpause. Aber die Punkte kann niemand nehmen. Und das gibt Sicherheit.“ Diese Sicherheit ist essenziell. denn trotz des aktuellen Höhenflugs stimmt Sebastian der Maßgabe Urs Fischers zu, dass der Klassenerhalt über allem steht: „Wahrscheinlich steht irgendwo in der Kabine wieder die Zahl 40. Und ich vermute, dass ihr Anblick absolut erdet. Union wird sich jeden Punkt weiter hart erkämpfen müssen.“

Hertha vor dem Derby in ungewohnter Rolle

Während der Umbruch im Kader bei Union also besser kaum laufen könnte, sind bei Hertha nach wie vor einige Bewegungsschmerzen spürbar, auch wenn der Trend mit Ausnahme der Klatsche gegen den BVB zuletzt nach oben zeigte. Beim Blick auf die Tabelle ist es nun erstmals der Fall, dass die Rolle des Favoriten vor einem Derby nicht eindeutig bei Hertha liegt, Trotzdem darf für die “Alte Dame”, gerade aufgrund der tabellarischen Situation, nur ein Dreier zählen. Der Verein hat mit der eingangs erwähnten Fahnenaktion den richtigen Tenor gesetzt, nun sind die Spieler gefragt. Ein zweites Fiasko wie im Hinspiel der Vorsaison, als nur ein Team verstanden hat, worum es in einem Derby geht, darf es unter keinen Umständen geben. In diesem Sinne sollte eher das Rückspiel als Orientierungsmaßstab genommen werden.

[Titelbild: Stuart Franklin/Getty Images]
 

Vorschau: Bayer 04 Leverkusen – Hertha BSC: Per Trotzreaktion dem Tabellenkeller fernbleiben?

Vorschau: Bayer 04 Leverkusen – Hertha BSC: Per Trotzreaktion dem Tabellenkeller fernbleiben?

Nach dem Spiel gegen Borussia Dortmund trennen die Hertha nur noch drei Punkte vom Relegationsplatz. Nur vier Punkte sind es, welche die Alte Dame von einem direkten Abstiegsplatz trennen. Und nach Borussia Dortmund ist vor Bayer 04 Leverkusen. Mit der Werkself trifft Hertha auf eine Mannschaft, die aktuell gut drauf zu sein scheint.

Licht und Schatten – so scheint Hertha BSC in dieser Saison bisher gut zusammengefasst. Strahlt insbesondere die Berliner Offensive, scheint es in der Defensive oftmals umso düsterer auszusehen. Nach oben in die Tabelle zu schauen, fällt den Berlinern aktuell schwer – es muss zunächst vermieden werden, in den Sog des Abstiegskampfes gesogen zu werden. Mit Bayer 04 Leverkusen wartet nun der nächste spielstarke Gegner, der die Berliner Defensive fordern wird. Die Werkself um Trainer Peter Bosz rangiert aktuell auf dem dritten Tabellenplatz.

Grund genug, um sich als Hertha-Fan sorgen zu machen? Darüber haben wir mit Leverkusen-Expertin Friederike vom “Neverkusen Podcast” gesprochen. Und sie verrät: Nicht alles, was glänzt, ist auch aus Gold.

Auf dem dritten Tabellenplatz – doch täuscht der Eindruck?

Mit drei Unentschieden gegen den VfL Wolfsburg, RB Leipzig und den VfB Stuttgart ist die Werkself zunächst schleppend in die neue Saison gestartet. Damit hatte sich Leverkusen zunächst in der unteren Tabellenhälfte auf Platz 14 eingereiht. Zu wenig für eine Mannschaft mit Champions-League-Ambitionen. Allerdings hatten die Leverkusener auch schmerzhafte Abgänge zu vermelden.

Kai Havertz zog es vor der Saison für 80 Millionen zum FC Chelsea, Kevin Volland wechselte für knapp 16 Millionen Euro zum AS Monaco und Trainer Nico Kovac. Beide waren jahrelang feste Größen und Stützen im Team. Mit Beginn des vierten Spieltages gelang es der Mannschaft aber, die Abgänge aufzufangen. Dann folgten Siege gegen Mainz 05, FC Augsburg, SC Freiburg und auch gegen Borussia Mönchengladbach. Am vergangenen Wochenende gegen Arminia Bielefeld konnte die Mannschaft ebenfalls drei Punkte einfahren.

Foto: IMAGO

Dennoch sieht Friederike auch Grund für Kritik: „Unser Tabellenplatz stimmt gar nicht mal so mit den Leistungen überein“, sagt sie. Am letzten Spieltag gegen Bielefeld habe die Mannschaft laut ihr eher schwach gespielt. „Aber der Gegner halt noch schwächer“, weshalb Aleksander Dragovic in der 88. Spielminute noch der 1:2 Siegtreffer gelang.

Leverkusen scheint die Pflichtaufgaben zu meistern, während die Mannschaft – mit Ausnahme des Sieges gegen Gladbach – gegen spielstärkere Teams wie Wolfsburg, Leipzig und diese Saison auch Stuttgart ihre Schwierigkeiten hat. Und hier kann Hertha ansetzen. Denn wenn die Berliner diese Saison eines können, dann ist es Offensive.

Die Leverkusener Mannschaft im Detail

Doch wenn Hertha ein ähnliches Defensivverhalten wie gegen Dortmund präsentiert, kann es für die Berliner auch schnell zu einem Debakel werden. Denn Leverkusen ist seit jeher als offensiv spielstarke Mannschaft bekannt. Sie spielen One-Touch-Fußball, oft mit schnellen Spielern auf den Außen. Auch die Abgänge von Kai Havertz und Kevin Volland scheinen vergessen zu sein.

„Wir waren alle skeptisch, wer die Lücken füllen soll“, sagt Friederike. Doch mit der Transferpolitik ist sie zufrieden. Auch wenn nicht viele neue Spieler hinzukamen. Denn „die Dagebliebenen machen es gut“, sagt sie. Als Beispiel nennt sie Moussa Diaby, der sich auf der linken offensiven Außenbahn „die Hacken wund läuft“ und die wiedergewonnene Spielfreude von Leon Bailey. Zusammengezählt haben beide diese Bundesligasaison nach acht Spieltagen drei Tore und vier Vorlagen erzielt.

Foto: IMAGO

Hinzu kommt Lucas Alario – mit sieben Treffern steht er auf dem vierten Platz der Torschützenliste. Und nach überstandener Verletzung steht nun auch wieder Stürmer Patrik Schick zur Verfügung. Auch wenn man im Leverkusener-Trikot noch nicht viel von ihm sehen konnte, „scheint er sehr gut zu uns zu passen“, sagt Friederike. „Er ist ein toller Typ Stürmer – torgefährlich und immer präsent“, sagt sie. Der Tscheche ist diese Saison ihr Lieblingstransfer gewesen.

Als „Glücksgriff“ bezeichnet sie Innenverteidiger Edmond Tapsoba, der gegen Bielefeld wegen eines positiven Corona-Tests jedoch ausfiel. Zuvor stand er in jedem Bundesligaspiel in der Startelf. Ebenso wichtig für das Team sei Florian Wirtz. „Er wird uns noch viel Freude bereiten“, sagt Friederike. Hier scheinen Parallelen zu Hertha zu sein – wenn aus Berliner Sicht auch eher negative.

Während es den Berlinern bisher nur mäßig gelungen ist, die Abgänge mit neuen Stützen im Team wettzumachen, scheint das in Leverkusen bereits gelungen. „Trainer Peter Bosz hat eine klare Spielidee, da sieht man wenig Experimente und das scheint bei den Spielern gut anzukommen“, sagt sie.

Matchplan: Ein offensives Feuerwerk

Beide Mannschaften haben ihre Stärken in der Offensive. Hier hat Hertha nach der Verletzung von John Córdoba einen Nachteil. Denn Krzysztof Piatek muss weiterhin erst ins Spiel eingebunden werden. „Und auch er muss sich mehr einbinden“, wie Bruno Labbadia nach dem Spiel gegen Dortmund analysierte. „Beide Seiten müssen aufeinander zugehen“, sagte er.

Matheus Cunha hingegen bleibt in dieser Saison weiterhin heiß gelaufen. Auf ihm baut das offensive Spiel der Hertha auf. Abzuwarten bleibt, ob Dodi Lukebakio die Bank droht. Die Kritik des Trainers an dem abwehrmüden Stürmer hört nicht auf. Jesse Ngankam könnte ihn ersetzen, auch Javairo Dilrosun stünde bereit.

Foto: IMAGO

Über die Leverkusener Offensive muss man sich auch in dieser Saison Sorgen machen. 16 Treffer hat die Werkself bereits erzielt – einer mehr als Hertha. Zu erwarten ist ein schnelles, offensiv geprägtes Spiel beider Mannschaften. Hertha braucht nach dem enttäuschendem Spiel gegen Dortmund einen Befreiungsschlag. Gegen Augsburg gelang das. Die Mannschaft muss sich ebenso trotzig zeigen.

Für den neutralen Fußballfan könnte es sich lohnen einzuschalten. Aus blau-weißer Sicht: Hoffentlich bleibt die Defensive gegen die schnellen Pässe und Laufwege der Leverkusener dicht. Das glaubt Friederike jedoch nicht – ihre Prognose: „Sorry, aber 3:2 für Leverkusen.”

[Titelbild: IMAGO]

Vorschau: Selbstbewusste Herthaner gegen den Vizemeister

Vorschau: Selbstbewusste Herthaner gegen den Vizemeister

Wir haben grundsätzliches Verständnis für die Bedürfnisse der Verbände und Nationalmannschaften. Aber gerade in diesen Zeiten kommen Spieler an ihre Belastungsgrenzen und insbesondere die Sinnhaftigkeit von Freundschaftsspielen kann man hinterfragen.“ Viel treffender als Michael Preetz es auf der jüngsten Spieltagspressekonferenz fomulierte, kann man es kaum zusammenfassen. Inmitten einer Pandemie werden Spieler um die halbe Welt geschickt, um unter anderem ein Turnier zu spielen, von dem eigentlich niemand weiß, was es da zu gewinnen gibt. Dann obendrein neben diesem “Turnier“ auch noch Freundschaftsspiele anzusetzen – also im Endeffekt Spiele, die ebenso bedeutungslos sind wie die Nations League, nur dass der UEFA hierfür bislang noch kein Fantasiewettbewerb eingefallen ist, der dem Ganzen künstlich Wichtigkeit verleiht – setzt der Absurdität die Krone auf.

Während man früher immer nur darum bangte, dass sich ja kein Spieler der eigenen Mannschat verletzten möge, muss man nun hoffen, dass alle Corona-frei zurückkehren. What a time to be alive. Doch immerhin gibt es Licht am Ende des Tunnels, denn glücklicherweise findet das nächste Länderspiel erst im März statt. Bis dahin hat Hertha also reichlich Zeit, dort anzuknüpfen, wo vor der Unterbrechung aufgehört wurde. Nach zuletzt vier Punkten aus zwei Spielen mit jeweils sehr überzeugenden Auftritten befindet sich das Team von Bruno Labbadia im Aufschwung. Dieser soll nun – trotz anstehender Herkulesaufgabe – fortgesetzt werden. Am Samstagabend geht es gegen den amtierenden Vizemeister aus Dortmund.

Um einen detaillierten Einblick in die aktuelle Lage bei Borussia Dortmund zu bekommen, haben wir mit BVB-Experte Julius gesprochen.

Der einzige Hoffnungsträger im Kampf gegen das Imperium

So langsam fühlt es sich an wie bei „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Jahr um Jahr träumt der neutrale Fußballfan davon, dass es endlich mal ein Meisterrennen mit offenem Ausgang geben möge und setzt seine Hoffnungen dabei naturgemäß in den einzigen Verein, der berechtigte Ambitionen auf den Titel haben kann und nicht gleichzeitig von den Brausemillionen eines Rechtspopulisten in die Liga gekauft wurde – nur um dann Jahr ein Jahr aus wieder der Realität ins Auge blicken zu müssen, die lautet, dass am Branchenprimus aus München nun mal kein Vorbeikommen ist.

Gerade der Verbleib von Sancho kann als Trumpf für den BVB gewertet werden. (Photo by Lukas Schulze/Getty Images)

Auch in diesem Jahr keimt dieses kleine Fünkchen Hoffnung an so mancher Stelle wieder auf. Immerhin hat der FC Bayern einen gewissen Thiago an die Konkurrenz aus Liverpool verloren. Auch Philippe Countinho und Ivan Perisic wurden nach ihren Leihen wieder abgegeben. Zudem fällt Joshua Kimmich nach zugezogenem Meniskussschaden im Spiel gegen den BVB voraussichtlich bis Januar aus. Weniger optimistische Menschen könnten entgegnen, dass sich die Bayern in Person von unter anderem Leroy Sané jetzt allerdings auch nicht allzu verkehrt verstärkt haben. Aber an irgendetwas muss man sich ja hochziehen. Und dieser Umstand ist in dem Fall, dass der BVB im Gegensatz zu den Münchenern lediglich die Real-Leihgabe Achraf Hakimi hat abgegeben müssen, während alle übrigen Leistungsträger – allen voran Jadon Sancho, den viele schon in Manchester sahen – der Borussia erhalten geblieben sind.

Hierin besteht auch laut Julius der Trumpf in der aktuellen Spielzeit: „Was besonders positiv heraussticht und den Transfersommer zu einem, meiner Meinung nach, sehr gutem Transfersommer macht, ist die Tatsache, dass das Team größtenteils zusammengehalten wurde. Zu oft wurden in der Vergangenheit gefühlt die Hälfte einer Mannschaft innerhalb von einem Jahr durchgerauscht. Wenn man sich kontinuierlich verbessern will, braucht man in allen Bereichen Kontinuität. Zusätzlich hat man mit Jude Bellingham in einer komplizierten Wirtschaftslage eines der begehrtesten Talente der Fußballwelt verpflichten können und auch seine Leistungen in Schwarzgelb unterstreichen dies nochmal.“

Das verflixte zweite Gesicht

So darf beim Blick auf den Kader und auch angesichts von bislang lediglich drei Punkten Rückstand auf den FC Bayern also durchaus weiterhin auf ein spannendes Meisterrennen gehofft werden – wäre da nicht dieses zweite Gesicht, das der BVB partout nicht abstellen will. Nichts veranschaulicht diese zwei Gesichter des BVB so schön wie die ersten beiden Spieltage. Zum Saisonauftakt empfing der BVB daheim Borussia Mönchengladbach – die Positivüberraschung der vorangegangenen Spielzeit und ein Team, dem viele insbesondere dank Trainer Marco Rose in dieser Saison einiges zutrauen. Den BVB ließen die Vorschusslorbeeren für den Gegner indes kalt. Im Stile einer Spitzenmannschaft fertigten die Schwarz-Gelben Gladbach mit 3:0 ab, ohne wirklich überlegen gewesen zu sein. Aus vier Torschüssen erzielte man drei Treffer.

Zum Haareraufen: Unnötige Niederlagen wie gegen Augsburg passieren dem BVB seit Jahren. (Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images)

Genau diese Effizienz wurde eine Woche später jedoch schmerzlich vermisst. Trotz 80 Prozent Ballbesitz unterlagen die Dortmunder mit 0:2 in Augsburg. Einmal mehr – wie schon so oft in den zurückliegenden Jahren – ließ der BVB Punkte liegen, wo es eigentlich nicht passieren darf. So stellt Julius fest: „Diese Verzweiflung speist sich vor allem auch daraus, dass man sich das Zustandekommen einfach nicht wirklich erklären kann. Trainer, Spieler, alles wurde schonmal ausgetauscht, doch diese Aussetzer sind geblieben.

Zumindest in dieser Saison muss man aber fairerweise anmerken, dass die Spiele gegen Augsburg und Lazio zwar auch enttäuscht haben, aber zumindest mich persönlich noch nicht wieder zum Verzweifeln gebracht haben. Dafür war alles vor und nach diesen Niederlagen zu souverän und abgeklärt. Vielleicht müssen wir das zweite Gesicht in dieser Saison ja doch nicht so oft sehen.“ Aus blau-weißer Sicht darf jenes Gesicht aber gern noch zweimal in dieser Saison zum Vorschein kommen.

Verabschiedet sich Favre mit dem Titel?

Dass der BVB trotz dieses begnadeten Kaders immer wieder Leistungsschwankungen unterliegt und es daher noch nicht zum ersten ganz großen Wurf seit 2012 gereicht hat, ist zum einen mit dem jungen Alter von Leistungsträgern wie Sancho, Haaland und Reyna zu erklären. Zum anderen wird aber auch Trainer Lucien Favre immer wieder in die Argumentation mit aufgenommen, wenn es um die Suche nach Gründen für das Ausbleiben von Meisterschaften in den letzten beiden Jahren geht. Dass Favre ein Fußballlehrer ist, an dem sich die Geister scheiden, weiß man als Hertha-Fan nur allzu gut. Unbestritten sind seine Qualitäten als Taktiker und Tüftler. Ebenso bekannt ist aber gleichzeitig auch, dass der Schweizer nicht unbedingt als Menschenfänger bekannt ist. Eine Qualität, der in Dortmund seit Jürgen Klopp (zu) viel Stellenwert beigemessen wird. Immer wieder heißt es, Favre könnte einer Mannschaft nicht die letzten fehlenden Prozentpunkte an Leidenschaft vermitteln, die es braucht, um ein Team zur Meisterschaft zu führen. Wie nachvollziehbar und schlüssig diese Aussagen tatsächlich sind, müssen andere beurteilen.

Lucien Favre spaltet das Umfeld des BVB auch in dieser Saison wieder. (Photo by Friedemann Vogel/Pool via Getty Images)

Fakt ist, dass Favre nach Thomas Tuchel der BVB-Trainer mit dem besten Punkteschnitt ist und die Borussia – nachdem dort zwischenzeitlich unter anderem ein gewisser Peter Stöger im Amt war und den drögesten Fußball seit Thomas Doll hat spielen lassen – wieder zu einem Team mit Titelambitionen und einem klaren Konzept auf dem Platz geführt hat. So fasst auch Julius zusammen: „Einerseits ist es nicht von der Hand zu weisen, dass ein wenig mehr Konstanz im ersten Jahr seiner Amtszeit wohl die Meisterschaft bedeutet hätte, andererseits hat er, was Punkte und Platzierungen angeht, schon das herausgeholt was man von dieser Mannschaft erwartet.

Wer eine Meisterschaft als einziges Kriterium sieht, was über die Leistung eines BVB-Trainers entscheidet, hat wohl ein wenig verschlafen, dass die Bayern auch noch mitspielen. Seine Art scheint manche Fans nicht zufriedenzustellen, auch das darf man nicht außen vor lassen. Am Ende wird es ziemlich sicher auf eine Trennung hinauslaufen, und das ist auch okay, wenn man dann einen mindestens ebenso geeigneten Kandidaten als Nachfolger präsentieren kann. Favre hat dann drei Jahre gute Arbeit geleistet, den BVB als 2. der Liga stabilisiert und einige Youngstars zu Stars geformt, zum ganz großen Wurf hat es aber nicht gereicht. Nur Titel könnten dies noch ändern.“

Nachdem auch Thomas Tuchel nach einem Titel, dem Sieg des DFB-Pokals, gehen musste – gleichwohl die Gründe hier gänzlich anderer Natur waren – wäre es Favre zu wünschen, dass er in seiner (vielleicht) abschließenden Saison bei Borussia Dortmund das nachholt, was ihm mit Hertha vor nunmehr 11 ½ Jahren so haarscharf verwehrt blieb. Aber mit dem Punktesammeln dürfen er und seine Mannschaft sich gern noch eine Woche Zeit lassen.

[Titelbild: Lars Baron/Getty Images]

Vorschau: Hertha gegen das Überraschungsteam aus Augsburg

Vorschau: Hertha gegen das Überraschungsteam aus Augsburg

Ist das Glas nun halb voll oder halb leer? Dem couragierten Auftritt in Leipzig, bei dem Hertha jedoch leer ausging, folgte gegen Wolfsburg ein dominanter Auftritt, der nichts anderes als einen Sieg verdient gehabt hätte. Doch wie schon in Leipzig verpasste es Hertha, sich zu belohnen, sodass man nach dem 1:1 klar von zwei verlorenen Punkten statt einem gewonnenen sprechen muss. Dennoch macht die Leistung einmal mehr Mut. Allein helfen Anerkennung und Lob wenig, wenn der Ertrag ausbleibt. Und so steht das Team von Bruno Labbadia vor dem Spiel gegen Augsburg unter Druck. Zumal keinesfalls davon ausgegangen werden darf, dass eine Partie gegen diesen FCA zum Spaziergang wird.

Im Vorfeld der Partie haben wir mit Augsburg-Expertin Kristell, unter anderem bekannt aus dem FRÜF-Podcast, gesprochen, um zu ergründen, wie der gute Saisonstart der Fuggerstädter zu erklären ist.  

Mit „Augsburger Tugenden“ in die Erfolgsspur

Mit defensiver Kompaktheit weiß der FC Augsburg bisher zu überzeugen. (Photo by ROLF VENNENBERND/POOL/AFP via Getty Images)

Wer dieser Tage auf die Tabelle blickt, wird sich angesichts einiger Platzierungen verwundert die Augen reiben. Die positive Überraschung dieser zugegebenermaßen noch sehr jungen Saison stellt der FC Augsburg auf Platz 6 dar. Dass derartige Platzierungen gerade zu Saisonstart des Öfteren zustandekommen, ist kein Novum. So weilte Paderborn vor einigen Jahren zu Beginn der Spielzeit gar an der Tabellenspitze, nur um am Ende dann den Gang in die zweite Liga antreten zu müssen. In Bezug auf Augsburg muss man diese Leistung aber besonders wertschätzen, wenn man sich das Auftaktprogramm anschaut. So ist der FCA die einzige Mannschaft, die dem BVB bislang Punkte in der Liga abnehmen konnte.

Die Gründe für den erfolgreichen Start sieht Kristell neben den Neuzugängen – allen voran Gikiewicz und Caligiuri – vor allem in der Rückbesinnung auf die „Augsburger Tugenden“: „Was ich Augsburger Tugenden nenne, ist das, was allen anderen am FCA so höllisch auf die Nerven geht: Gegen uns zu spielen, macht keinen Spaß. In den letzten Spielzeiten war das etwas abhandengekommen, der FCA wirkte zuweilen hilflos und ließ sich auch mal abschießen, das ist diese Saison noch nicht passiert. Es ist zwar nicht immer schön, was die Augsburger auf den Rasen bringen, aber meistens sehr effektiv, und aus sehr wenig Ballbesitz haben wir so schon erstaunlich viele Punkte, und wahrscheinlich wenig Freunde fürs Leben gemacht.“

Gleichzeitig ordnet Kristell ein, dass auch der Faktor Glück eine nicht unwesentliche Rolle spielt: „Dass wir den BVB am Anfang der Saison erwischten, wo noch nicht alles rund lief und dann gleich 2:0 gewinnen konnten, daran hatte auch die Tatsache Anteil, dass bei dem Spiel 6000 Fans das Team unterstützen konnten. Und von diesen ersten ziemlich guten Partien zehren wir heute noch.“

Herrlichs Fußball passt zum FCA

Auch dank Trainer Heiko Herrrlich holte der FCA zehn Punkte aus den erste sechs Partien. (Photo by ROLF VENNENBERND/POOL/AFP via Getty Images)

Wenn davon die Rede ist, dass die „Augsburger Tugenden“ wieder auf dem Platz sichtbar sind, hängt das auch zu großen Teilen mit Heiko Herrlich zusammen. Der vormalige Leverkusen-Coach leitet seit März diesen Jahres das Training in der Fuggerstadt.

Seine Spielidee, „aus kompakter Defensive schnell nach vorn kommen um mit wenig Ballbesitz dennoch möglichst viele Torchancen zu erzielen“ passt zum FCA: „Der FCA verteidigt nun wieder so diszipliniert, dass Gegentreffer hart erarbeitet werden müssen. So können wir stärkere Gegner wieder mürbe machen, das geht gegen manche ganz gut auf. Im Spiel mit dem Ball sehe ich noch Luft nach oben, aber auch hier zeigen die letzten Spiele, dass die Mannschaft in der Lage ist, Chancen zu erzielen und Fehler auszunutzen, und dabei nicht auf einzelne Akteure angewiesen ist, sondern wie beim FCA immer wichtig, Tore eine Gemeinschaftsleistung sind.

Mit Demut in den Rest der Saison

Trotz des aktuellen Höhenflugs besteht in Augsburg keinerlei Gefahr, abzuheben: „Klassenerhalt ist das erste und das einzige Ziel. Das halte ich auch im zehnten Jahr in der Bundesliga für sinnvoll, auch wenn natürlich schon wieder Träumereien vom europäischen Wettbewerb durch einige Fanköpfe geistern. Auch wenn wir momentan recht gut dastehen und entspannt sein können, sollte uns in Augsburg bewusst sein, wie fragil Erfolg in der Bundesliga ist, und spätestens dann, wenn die 80 Millionen Fußballexperten da draußen sagen, der FCA hätte diese Saison mit dem Abstieg nix zu tun, sollten wir besonders vorsichtig werden“, ordnet Kristell die Erwartungshaltung ein. Ein Ansatz, der so manch anderen Clubs, die in der Tabelle gerade wesentlich tiefer rangieren, auch gut zu Gesicht stünde.

Eine halbe Stunde als Hoffnungsschimmer

Er war das belebende Element in der zweiten Halbzeit. Es war die 57. Minute, als Matteo Guendouzi sein heiß erwartetes Debüt im blau-weißen Trikot gab – und der Franzose hielt auf Anhieb, was sich viele von ihm versprechen. Er forderte und verteilte Bälle, überzeugte mit hoher Dynamik und Spielwitz, hatte keinerlei Anpassungsschwierigkeiten. Kann die Arsenal-Leihgabe an diese Leistung in den kommenden Monaten anknüpfen, kann man sich aus Herthaner Sicht nur freuen – im besten Fall gleich am Samstag gegen Augsburg.

[Titelbild: Alexandra Beier/Bongarts/Getty Images]