Taktiktafel: Strafraumbesetzung, fehlende Zuordnung und liegengelassene Punkte

Taktiktafel: Strafraumbesetzung, fehlende Zuordnung und liegengelassene Punkte

Wir wollen euch regelmäßig Spielsituationen aus Partien von Hertha BSC, v. a. aus individual- und gruppentaktischer Sicht, detailliert vorstellen und dann anschließend gemeinsam mit euch auf unserem Discord-Server diskutieren.

Nach einer kleinen Pause der Taktiktafel, gibt es heute eine frische Ausgabe mit den Eindrücken zu den Gegentoren gegen Dortmund, Leverkusen, Mainz und Hoffenheim. Nur beim Auswärtsspiel in Augsburg am 5. Spieltag blieb Hertha in dieser Saison ohne Gegentor und ließ dabei nur sieben Torschüsse zu, wovon nur ein Schuss auf das Tor ging – am Ende hatten die Fuggerstädter einen xG-Wert von 0,3 (BVB: 3,0 / B04: 1,4 / M05: 0,8 / TSG: 1,8).

5/5 – Unsere Gegentore im und um den Strafraum

Einwurf Marius Wolf, Klatschpass Salih Özcan, Doppelpass Wolf, Flanke Özcan (31:33) – so einfach war das Rezept der Dortmunder für den Siegtreffer in der 32. Minute durch Anthony Modeste. Marc-Oliver Kempf (1,86 m) ist im Kopfballduell mit Modeste (1,87 m) kein Vorwurf zu machen, eher dem passiven Verhalten unserer linken Seite (Marvin Plattenhardt, Chindera Ejuke). In dieser Situation hätte es einen Lucas Tousart auf Außen gebraucht, der den angreifenden Spieler doppelt und eine Gleich– oder Überzahl in Ballnähe herstellt (wie hier beschrieben).

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Es folgte die Partie gegen ein kriselndes Leverkusen, welche noch für viel Gesprächsstoff sorgen sollte. In der Situation vor dem Freistoß zum 0:1 durch Kerem Demirbay, zeigte Hertha wieder alte Schwächen: Ivan Šunjić spielt von rechts eine Verlagerung auf die linke Seite, wo Ejuke das Kopfballduell gegen Jeremie Frimpong nicht gewinnt und der Ball ins Zentrum gelangt, welches von Hertha wieder kläglich unbesetzt ist. Hier hat Adam Hlozek Zeit und Platz, um zum Dribbling anzusetzen. Parallel setzt sich Moussa Diaby aus dem Zentrum ab (47:19) und bekommt dann den Ball vor die Füße, den Šunjić Hlozek weggrätschen kann (47:21).

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Diaby, der seit Ballverlagerung keinen Gegenspieler hatte, braucht drei Sekunden bis zum Strafraum, wo ihn nur Šunjić stoppen kann, da der zurückeilende Suat Serdar kein Foul ziehen durfte, weil er in der ersten Hälfte bereits mit Gelb verwarnt wurde.

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Beim 2:2 von Leverkusen darf „Besetzung“ im Zusammenhang mit dem eigenen Strafraum von Hertha gar nicht genannt werden – einerseits sind die Lücken zu den Leverkusenern viel zu groß, anderseits spielt sich Leverkusen eine 3:2-Überzahl direkt vor dem Tor heraus (78:46).

Dass auch der kriselnde Patrick Schick gegen Hertha trifft und sein bisher bestes Spiel (Kickernote 3,0) macht, hat er auch der Abwehr von Hertha zu verdanken.

Clever oder dreckig: Hertha muss sich besser bei Klärungen verhalten

Wie schon gegen Leverkusen hat Hertha (in dem Fall Marco Richter) einen Spieler komplett aus den Augen verloren – hier den Mainzer Torschützen Anthony Caci. Dieser schafft es, sich innerhalb von 11 Sekunden unbemerkt in den Strafraum zu schleichen (93:09) und mit einem Last-Minute-Tor (xG = 0,04) Herthas zweiten Saisonsieg zu vereiteln.

Auch wenn ich einen Punktgewinn vor dem Spiel gegen die TSG aus Sinsheim unterschrieben hätte: so einfach darf das 1:0 nicht fallen: sowohl Dodi Lukébakio (Kopfball ins Zentrum), als auch Filip Uremović (spitzelt den Ball weg), schaffen es nicht, den Ball aus Strafraumnähe wegzuhalten. Mit einem einfachen Hinterlaufen von Andrej Kramarić schafft es José Tasende, den entscheidenden Pass vorzubereiten (24:47).

Hier fordert der alleingelassene Ozan Kabak bereits den Ball, den er vier Sekunden später bekommt und auf das Tor bringt (24:51), wo der wiederum alleingelassene, in den Strafraum eilende, Kramarić den Ball entscheidend abfälscht.

Sechs Punkte bei 6:5 Toren hat Hertha aus den letzten fünf Spielen geholt. Mit dem Punkt vom 2. Spieltag steht Hertha nun mit 7 Punkten (8:10 Toren) auf Platz 14 der Tabelle. Die nächsten Gegner im Oktober heißen Freiburg (2.), Leipzig (11.), Gelsenkirchen (15.) und Bremen (8.), die alle bisher offensiven Fußball spielen (zusammen 53 Tore).

Und jetzt freuen wir uns auf die Diskussion zur Frage: wie schafft es Hertha, früher und konsequenter zu verteidigen?

(Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images)

Hertha BSC vs. Borussia Dortmund: Drei Thesen

Hertha BSC vs. Borussia Dortmund: Drei Thesen

Am vierten Spieltag der noch frischen Saison spielt Hertha BSC gegen Borussia Dortmund. Das letzte Heimduell zwischen den beiden ist bei den Herthanern noch in guter Erinnerung. Ein blendend aufgelegter Marco Richter avancierte letztes Jahr kurz vor Weihnachten mit seinem Doppelpack beim 3:2-Sieg zum Matchwinner. Heute treffen zwei Mannschaften aufeinander, deren Saison gegensätzlicher kaum laufen könnte und doch scheint auch in Sachen Stimmung ein gegenteiliges Bild zu herrschen. Was können wir also von diesem ungleichen Duell im zweiten Heimspiel in dieser Saison erwarten?

Hertha ist die bessere Mannschaft

Während die Dortmunder in keinem ihrer drei Bundesliga-Spiele überzeugen konnten, aber immerhin zwei von drei Spielen siegreich beendeten, ist bei Hertha das Gegenteil der Fall. Die Mannschaft von Sandro Schwarz wird auch gegen den BVB im gut gefüllten Berliner Olympiastadion ihr Spiel diszipliniert umsetzen und den Dortmundern einen heißen Kampf bieten. Über die starke Offensive wird Hertha genug Akzente setzen können, um dem Spiel einen Stempel aufzudrücken. Phasenweise wird die Alte Dame die Partie sogar dominieren. Nach dem Spiel wird es ein weiteres Mal positive Stimmen aus ganz Deutschland regnen. Die Mannschaft ist eine andere als im letzten Spieljahr und verdient sich das neue Ansehen.

Marco Richter bekommt Minuten und kann sich empfehlen

Gegen Borussia Mönchengladbach stand er bereits im Kader. Gegen Borussia Dortmund wird der Matchwinner aus der Vorsaison auf seine ersten Minuten in der Saison kommen. Und auch er wird sich mit seiner Schnelligkeit und Kreativität hervorragend ins Offensivspiel integrieren können und für den ein oder anderen sehenswerten Moment sorgen.

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(Photo by TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images)

So spannend und interessant Herthas Offensive aktuell auch ist, Richter kann langfristig den Konkurrenzkampf ankurbeln. Ein weiterer Push für die Akteure, die neben dem Mannschaftserfolg selbstverständlich auch ihre eigenen Zahlen verbessern wollen.

Hertha gewinnt trotzdem nicht

Das Glück ist des Tüchtigen. Und die Hertha ist tüchtig. Ein weiteres Mal wird die Mannschaft zeigen, dass sie mit dem Abstieg in diesem Jahr nicht viel zu tun haben wird. Zeitweise werden sie die Dortmunder sogar an den Rand einer Niederlage bringen, doch am Ende hapert es wieder an der Effektivität vor dem Tor. Zum großen und befreienden Sieg wird es an diesem Spieltag noch nicht kommen, dafür ist die individuelle Dortmunder Qualität zu hoch.

(Photo by Lars Baron/Getty Images)

Doch ein weiterer Punktgewinn und viele Fortschritte im Lernprozess stehen am Ende auf der Berliner Habenseite. Aber keine Sorge, liebe Herthaner und Herthanerinnen: Der Befreiungsschlag wird kommen. Schon bald!

(Titelbild: Lars Baron/Getty Images)

Hertha BSC – Borussia Dortmund: Drei Schlüsselduelle

Hertha BSC – Borussia Dortmund: Drei Schlüsselduelle

Trotz zweier zuletzt starken Partien steht Hertha BSC mit nur einem Punkt auf dem 16. Tabellenplatz. Gegen Dortmund soll mit dem neu entfachten Offensivfußball endlich der erste Dreier der Saison eingefahren werden. Das sind die Schlüsselduelle.

Zuletzt spielte Hertha BSC zwei Mal durchaus attraktiven Fußball. Die Berliner zeigten sowohl gegen die Eintracht aus Frankfurt, als auch gegen Borussia Mönchengladbach ein starkes Gegenpressing, schnelle Umschaltmomente – und einige gute Torchancen.

Zwei positive Spiele hintereinander – wann hat es das zuletzt gegeben bei den Berlinern? Vermutlich ist es Jahre her. Umso ernüchternder ist es, dass die Mannschaft um Hertha-Trainer Sandro Schwarz noch immer nur einen Punkt auf dem Konto hat. Allerdings war vielen mit der Veröffentlichung des Spielplans klar, dass es die ersten vier Spiele in sich haben.

Umso erfreulicher ist es, wie sehr die Mannschaft Moral beweist, sich auch nach Rückständen nicht aus dem Konzept bringen lässt – und immer weiterarbeitet. Im zweiten Heimspiel der Saison geht es nun gegen Borussia Dortmund, ein weiteres Schwergewicht. Für einen erfolgreichen Spieltag müssen diese drei Schlüsselduelle gewonnen werden.

Marton Dardai – kocht er den erfahrenen Modeste ab?

Aufgrund der unnötigen gelb-roten Karte von Filip Uremovic beim Spiel gegen Gladbach wird aller Voraussicht nach Marton Dardai seinen Platz in der Innenverteidigung einnehmen. Durch seine Größe wird es vermutlich er sein, den Sandro Schwarz auf Anthony Modeste ansetzen wird.

Der bullige Stürmer ist ein ähnlicher Spielertyp wie Herthas Ex-Stürmer Jhon Cordoba: wenn es sein muss, kann er die Bälle tief nahe der Mittellinie festmachen und weiterverarbeiten. Hier darf sich Dardai nicht abkochen lassen – und muss seinen bulligen Körper dagegenstellen.

Gegen Dortmund muss Hertha-Eigengewächs Dardai die nötige Robustheit an den Tag legen.

Gegen Dortmund muss Dardai die nötige Robustheit an den Tag legen. (Photo by Martin Rose/Getty Images)

Gleichsam ist Modeste auch ein „Instinktstürmer“: es kann gut sein, dass man ihn lange Zeit kaum am Spielbetrieb teilnehmen sieht. Doch auch wenn Modeste bisher noch nicht in Dortmund angekommen zu sein scheint (gegen Bremen die Kicker-Note 5), braucht er nicht viele Chancen, um zu treffen.

Trotz dessen dass Marton Dardai ein noch junger Spieler ist, muss er das gesamte Spiel über konzentriert bleiben und darf Modeste nicht aus den Augen verlieren. Mit seinen 34 Jahren wird Modeste des Öfteren nicht zu sehen sein – um dann urplötzlich Einnetzen zu wollen. Bleibt Dardai das Spiel über mental stark und konzentriert, kann es ihm gelingen, Modeste torlos wieder zurück gen Dortmund zu schicken – und sich somit für weitere Einsätze zu empfehlen.

Was kann Kenny wirklich?

Bisher konnte Jonjoe Kenny noch nicht vollends überzeugen. Gegen Gladbach gewann er lediglich vier von insgesamt 16 Zweikämpfen. Verlagert der Gegner das Spiel auf die rechte Seite der Berliner, folgen oft Szenen, die Kenny bisher noch nicht verteidigen kann. Dahingegen muss man ihm zugute halten, dass er sich im Gegensatz zu Pekarik oder auch Klünter auch öfter in die Offensive einschaltet.

Defensiv muss sich Kenny noch beweisen, um Hertha wirklich besser zu machen.

Defensiv muss sich Kenny noch beweisen. (Photo by Martin Rose/Getty Images)

Gegen Dortmund wird er es vermutlich mit dem 18-jährigen Jamie Bynoe-Gittens zu tun kommen. Der Shootingstar brilliert bisher vor allem durch seine Dribblings, seinen tiefen Läufen und einer guten Passquote – auch im letzten Drittel und unter Druck.

Hier muss Kenny versuchen, den quirligen Angreifer robust zu bearbeiten, mit einer gesunden Portion Aggression. Viel Platz darf er Bynoe-Gittens nicht lassen – steht er ihm aber auf den Füßen, kann er ihm durchaus den Spaß am Spiel nehmen.

Dodi Lukebakio – Herthas offensiver Motor

Den Saisonstart der Berliner hat Dodi Lukebakio durchaus versüßt – wenn bisher auch noch nicht mit einem Sieg veredelt. Doch macht seine neugewonnene Spielfreude – und, Achtung: Defensivarbeit – durchaus Lust auf mehr.

Im neuen offensivgeprägtem Spiel der Berliner scheint Lukebakio vollends aufzutauen. Gegen Eintracht Frankfurt steuerte er nach nur drei Spielminuten eine locker lässige Vorlage bei. Generell sorgen seine Dribblings, gepaart mit seiner Schnelligkeit, für enorme Gefahren bei den gegnerischen Mannschaften.

Mit seiner Schnelligkeit kann Lukebakio gegen Dortmund den Unterschied machen.

Mit seiner Schnelligkeit kann Lukebakio gegen Dortmund den Unterschied machen. (Photo by Lars Baron/Getty Images)

Ihm gegenüber wird höchstwahrscheinlich der 1,70 große und quirlige Raphael Guerreiro auf der linken defensiven Seite der Dortmunder stehen. Gegen den flinken und wendigen Außenverteidiger wird es für Lukebakio schwer werden, per Dribblings vorbei zu ziehen – wenn allerdings bei weitem auch nicht unmöglich.

Viel eher aber kann Lukebakio hier in Kontersituationen herausragen. Guerreiro ist ein essenzielles Puzzleteil des Dortmunder Offensivspiels. Gelingt der Hertha durch ihr bisher starkes Gegenpressing den Ball in der eigenen Hälfte zu erobern – kann es über Lukebakio schnell gehen. Die Situationen, in denen Guerreiro aufgerückt ist und lange Wege nach hinten gehen muss, kann Lukebakio mit seiner Geschwindigkeit ausnutzen und für mächtig Torgefahr sorgen.

(Titelbild: TOBIAS SCHWARZ/AFP via Getty Images)

Hertha BSC – Das Grab für jeden Optimisten

Hertha BSC – Das Grab für jeden Optimisten

Es ist 18:24, ich sitze von Bergen umringt an einem kleinen See auf ca. 1.500m Höhe in den französischen Alpen. Die Abendsonne scheint, man hört Vogelgezwitscher und die Welt scheint wunderbar und friedlich. Doch der Kontrast zwischen äußerer Umgebung und innerer Gefühlslage könnte größer nicht sein. Ein kleiner Text über den heutigen Spieltag, die Saison von Hertha und dem Leid eines Menschen, der sich selbst als Optimisten bezeichnen würde.

Hertha, du tust weh

Eigentlich hatte ich nicht geplant, in diesen Wochen einen Text für Hertha BASE zu schreiben. Befinde ich mich immerhin in meinen Flitterwochen und bereise Europa mit dem Wohnmobil. Daher kommt es auch, dass ich das letzte Saisonspiel meiner Hertha nicht gucken kann. Und wenn ich ehrlich bin, war ich froh drum. Ich wusste seit Tagen, dass das heute ein emotionaler Krimi wird, gänzlich unabhängig vom Ergebnis. Das hat Fußball halt so an sich und macht ihn besonders. Wir können mit ihm und durch ihn emotionale Höhen erleben, wie es kaum eine andere Sache auf der Welt vermag. Doch auf der anderen Seite kann er einem das Herz brechen, wie es ebenfalls nur wenige andere Dinge können. Und ein solcher Tag ist heute.

Sisyphos – nur anders

Wer mich ein wenig kennt, sei es über Twitter, die Podcastfolgen, den Blog hier oder auch persönlich, merkt schnell, dass ich ein tendenziell positiv gestimmter und optimistischer Mensch bin. Das hat so seine Vorteile: Man kann oft mit einem Lächeln und schönen Gedanken durch die Welt spazieren, viel Vorfreude empfinden und sich gut gelaunt fühlen. Doch dem Optimist-Sein findet sich inhärent ein großes Problem wieder: Oft ist die Welt eben nicht so positiv, wie man annimmt oder zumindest annehmen möchte. Und in solchen Momenten wird man regelmäßig enttäuscht, auf den Boden der Tatsachen zurück geschleudert und muss danach versuchen, erneut aufzustehen.

Hertha BSC versteht es so gut wie niemand anders, diesen Kreislauf in rasanter Geschwindigkeit Woche für Woche aufs Neue in Schwung zu bringen. Am Wochenende spielt die Alte Dame scheiße und verliert, oft verdient Man ist den Abend nach dem Spiel geknickt, doch schon ab Sonntagmorgen rede ich mir ein, dass es ja nicht so schlimm sei. Irgendeine Ausrede oder Begründung findet man immer: Der Gegner ist ein Top-6-Klub, der Schiri hat schlecht gepfiffen, man hatte Alu-Pech beim Abschluss oder der Gegner macht das Tor seiner Karriere (looking at you, Vogelsammer im DfB-Pokal). Montag, spätestens Dienstag dann fängt man an sich auf das Spiel am nächsten Wochenende zu freuen, dröhnt sich die Woche über mit Hertha-Content zu und wartet am Morgen des Spieltags gespannt auf den Anpfiff. Nur um wieder zu verlieren. Und wieder, und wieder, und wieder.

Hingeworfene Brotkrumen

Bis irgendwann ein gutes Spiel oder gar ein Sieg dabei ist. Beispielsweise das 3:2 gegen den BVB kurz vor Weihnachten oder ein 3:0 gegen einem zu diesem Zeitpunkt extrem starke TSG aus Hoffenheim, die in den Vorwochen 13 von möglichen 15 Punkten geholt hat. Und so steigt das gesamte Grundniveau des Optimismus sprunghaft an, nur um die Wochen danach Stück für Stück wieder abzusinken.

Dabei fing die Saison im weiteren Sinne doch so gut an. Der Sieg gegen Liverpool im Testspiel ließ mein Fan-Herz höher schlagen. Ich dachte mir: Klar, war nur ein Testspiel. Aber es war halt doch immerhin Liverpool, die nicht mit ihrer C-Elf, sondern Spielern wie van Dijk und Mane gespielt haben. Dieser Neuzugang bei uns, der Jovetic, Mensch ist der gut. Und auch Serdar, wieso hat der nur acht Millionen Euro gekostet? Ich war mir sicher, dass wir mit Pal Dardai an der Seitenlinie, dem emotional und sportlich extrem gut verlaufenem Saisonabschluss 2020/21 unter ihm und dem neuen Sportdirektor Fredi Bobic nach zwei Chaosjahren eine vergleichsweise entspannte Saison erleben dürfen.

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(Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images)

Doch schon die letzten Testspielen gegen Hannover 96 und St. Pauli ergaben nur Unentschieden, gegen Meppen quälte man sich 90 Minuten bis mich Davie Selke in der Nachspielzeit erlöste. Anschließend: Saisonauftakt gegen Köln. Die zwar einen neuen Trainer hatten, in der abgelaufenen Spielzeit jedoch erst in der Relegation die Klasse hielten, das Hinspiel gegen Kiel ging vor heimischem Publikum sogar verloren. Keine großen Sorgen also, man sollte das Spiel doch locker gewinnen können, dachte ich. Tja, ich lag falsch. Es sollte nicht das letzte Mal in dieser Saison bleiben.

Jovetic traf zwar bereits nach fünf Minuten zur Führung, doch das Spiel ging am Ende verdient und deutlich mit 1:3 verloren. Der Rest ist soweit bekannt, Derby-Niederlage, Dardai-Demission, Korkut-Installation, Derby-Niederlage, Korkut-Entlassung und Magath-Einstellung. Felix Magath. Das saß, ich brauchte mehrere Tage, um das wirklich zu verarbeiten. In meiner Kindheit Bayern-Trainer und Meistermacher bei Wolfsburg, in meinem Kopf war er eine Legende. Dieser Mann sollte MEINE Hertha trainieren? Unmöglich!

Aufschwung

Und Magath lieferte. Im ersten Spiel durch Corona verhindert und im Hotel, doch sein Co-Trainer Fotheringham war für ein paar Tage der Messias in Berlin. Ein Sieg gegen Hoffenheim und drei so dringend benötigte Punkte, gleichzeitig das erste gewonnene Spiel der Rückrunde. Der Optimist in mir erstrahlte. Die anschließend dritte und letzte Derby-Niederlage vor seit über zwei Jahren erstmals ausverkauftem Olympiastadion tat extrem weh und hinterließ tiefgehende Spuren im Verhältnis zwischen (sogenannten) Fans und Mannschaft. Es ist halt einfach so Hertha-like, das erste aufkeimende Gefühl der Hoffnung nach dem Sieg gegen die TSG unmittelbar im Anschluss niederzubrennen.

Sicher geglaubter Klassenerhalt

Das Spiel gegen Augsburg, das erste von drei Endspielen gegen direkte Konkurrenten ließ dann selbst mich staunend zurück. Entgegen meiner sonstigen Gepflogenheit ging ich fest von einer Niederlage aus. Und wurde dafür belohnt. Der große Vorteil eines Pessimisten, er kann nun mal im Worst Case bestätigt, im Best Case positiv überrascht werden. Gegen Stuttgart wählte ich einen ähnlichen Ansatz, wurde wieder belohnt. Und auf was für eine Art und Weise. Das 2:0 von Belfodil in der Nachspielzeit emotionalisierte mich und gefühlt das komplette Olympiastadion wie kaum ein anderes Tor der letzten Jahre. Es fühlte sich nach Klassenerhalt, nach Rettung an. Wie sollte Stuttgart nach diesem Spiel, lust- und kraftlos, jetzt zusätzlich endgültig gebrochen, noch einmal zurück kommen?

Magath mahnte

Trainer Magath zeigte sich schon vor Bielefeld vorsichtig, mahnte Fans und Presse und sagte, er habe schon die seltsamsten Dinge an den letzten Spieltagen erlebt. Ich war so blöd und glaubte ihm nicht, dachte mir: „jaja, lass ihn mal reden, wir schaffen das schon.“ Ich war wieder zum Optimisten geworden. Was danach folgte ist ein Saisonendspurt, wie ihn nur Hertha hinbekommt.

Führung in Bielefeld, Stuttgart gleichzeitig gegen Wolfsburg hinten. Der Klassenerhalt war rechnerisch sicher. Bin man in der Nachspielzeit ein Gegentor kassierte, zusätzlich glich Stuttgart in der 87. Minute ebenfalls aus. Heimspiel Mainz, schmeichelhaftes Unentschieden bis zu 82. Minute. Mir war scheißegal, dass der Punkt absolut unverdient gewesen wäre, was macht das in dieser Situation für einen Unterschied. Doch die Mannschaft zeigte sich erneut in den Schlussminuten unkonzentriert. Wie schon in Bielefeld. Wie schon gegen Augsburg in der Hinrunde. Und wie schon gegen Leverkusen in der Hinrunde.

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(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Dass Bayern nicht in der Lage ist, die Normalform gegen Stuttgart am nächsten Tag abzurufen? In Anbetracht der Umstände leider keine Überraschung, und dennoch massiv ärgerlich. Klar, man soll nicht auf die Konkurrenz hoffen, aber mal ehrlich, wer tut das nicht im Abstiegskampf? Denn wie gesagt, ob man Spiele am Ende verdient gewinnt oder verliert, verdient absteigt oder nicht, interessiert schlussendlich doch keinen.

Showdown in Dortmund und Stuttgart

Kommen wir zum Samstag. Und ich merke, dass der Text um einiges länger geworden ist als geplant. Wenn du, wenn Sie noch lesen, herzlichen Glückwunsch und vielen Dank.

Die Spieltage 32 und 33 haben mich konditioniert. So, wie jahrelang vor mir Hertha-Fans konditioniert wurden. Ich bin zum Pessimisten geworden. Alles andere als eine Niederlage beim BVB und gleichzeitigem Sieg der Stuttgarter gegen Köln hätte mich gewundert. Wie passend, ausgerechnet das Köln, welches uns am ersten Spieltag vor Augen geführt hat, dass auch diese Saison ein Krampf werden wird, hatte es mit in der eigenen Hand, ebenjene Saison für uns trotz aller Umstände tabellarisch zu retten. Das Führungstor von Belfodil kam überraschend, änderte jedoch nichts an meiner mentalen Verfassung, ich blieb pessimistisch. Auch weil Stuttgart zu diesem Zeitpunkt bereits führte.

Um die 60. Minute rum sagte ich zu meiner Frau, Köln hatte mittlerweile ausgeglichen: „Hey, es bräuchte noch drei Tore in 2 Spielen, damit wir in die Relegation müssen. Aber das wird auch passieren.“ Innerlich keimte dennoch eine Hoffnung auf. Wie so oft in dieser Saison. Tja, was folgte ist bekannt. 84. Minute Führung für Dortmund, 90+2 in Stuttgart erneute Führung für die Schwaben. Relegationsplatz für uns.

Zweite Liga, wir kommen!

Und ich? Ich hatte den großen Fehler begangen, für ein paar Minuten, insbesondere ab der 90. Minute in Stuttgart, zum Optimisten zu werden. Ich wollte es ein letztes Mal in dieser Saison sein, der Optimist. Vier Minuten? Ach das wird Köln schon hinbekommen. Wie gesagt, großer Fehler. Wäre ich Pessimist geblieben, vielleicht wäre der Fall nicht so tief gewesen. So habe ich eine Leere gespürt, die seit 2012 nicht mehr da war. Die vermutlich jeder Hertha-Fan gerade spürt. Wie soll man damit klar kommen? Ich weiß es momentan nicht und kann keine Lösung bieten. Ich kann nur darauf hoffen, dass die Zeit hilft die Wunden zu heilen.

(Photo by INA FASSBENDER/AFP via Getty Images)

Und so bleibe ich jetzt dabei und bin für die Relegationsspiele pessimistisch. Wir werden verlieren, egal gegen wen. Und wir werden in die zweite Liga gehen. Das steht für mich fest. Doch wir haben heute den Morgen nach dem Spiel. Ich kenne mich, leider. Ich werde spätestens ab Montag davon ausgehen, dass wir gewinnen. Ein ewiger Kreislauf, den Hertha auch noch ein letztes Mal in dieser Saison weiterführt. Und egal wie es ausgeht, ob 1. oder 2. Liga. Ich werde mich auf die neue Saison freuen. Und vom bestmöglichen Szenario ausgehen. Weil ich das nun mal bin. Und Hertha wird mir erneut wehtun und mich erneut enttäuschen. Und es wird ok sein. Wahrscheinlich. Denn es geht weiter immer weiter, wird für immer Hertha bleiben.

HaHoHe, auf eine bessere Zukunft!

Drei Thesen für Borussia Dortmund – Hertha BSC

Drei Thesen für Borussia Dortmund – Hertha BSC

Der letzte Spieltag der Bundesliga-Saison 2021/2022 ist angebrochen. Und die Mannschaft von Hertha BSC hat die letzte Chance, das Spieljahr mit dem absoluten Minimalziel zu beenden. Mit dem Klassenerhalt. Doch dafür bedarf es noch einmal 90 Minuten und länger kratzen, beißen und kämpfen und möglicherweise auf Kölner Schützenhilfe zu hoffen. Für das Spiel gegen Borussia Dortmund haben wir drei Thesen aufgestellt.

Hertha wird sich auf die Verteidigung konzentrieren – und auch müssen

Borussia Dortmund steht im Sommer vor einem großen Umbruch. Viele Spieler werden den Verein verlassen, viele neue Akteure werden dafür kommen. Die Saison der Borussia ist recht unbefriedigend gelaufen, auch wenn am Ende wieder einmal die Vizemeisterschaft auf der Visitenkarte steht. Um sich positiv von den Fans in die Sommerpause zu verabschieden, will die Mannschaft nochmal einen feinen Sommerkick abliefern. Das Team wird offensiv ausgerichtet sein und Chancen erarbeiten. Insbesondere Erling Haaland soll in seinem letzten Spiel nochmal brillieren.

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(Photo by Boris Streubel/Getty Images)

Um dem Sturmandrang Stand zu halten, wird die Hertha eine an diesem Tag extrem stabile Verteidigung haben müssen. Es wird keine leichte Aufgabe, aber mit viel Einsatz und Leidenschaft wird die Abwehr es der Dortmunder Offensive schwer haben und sich die Zähne ausbeißen. Dafür bedarf es absolute Konzentration und keine wilden Harakiri-Aktionen. Wer neben Marc Oliver Kempf in der Innenverteidigung stehen wird, ist noch nicht klar. Kapitän Dedryck Boyata litt unter der Woche an einer Erkältung.

Konzentration auf Standards und hohe Bälle

Spielerisch wird es gegen Dortmund schwer werden. Auf feine Spielzüge werden wir gegen die Schwarz-Gelben vergebens warten. Ab und an muss es die Brechstange sein. Die wird allerdings nur in sehr wenigen Fällen gegen den BVB zum Einsatz kommen können. Viel wird über die Außen gehen. Die Hoffnungen liegen auf den hohen Bällen Marvin Plattenhardts. Ein extrem durchschaubares Mittel, aber nun einmal eines der wenigen, welches die Mannschaft beherrscht. Die Einsatzlänge Davie Selkes ist fraglich, doch auf seine Kopfballstärke gilt es zu bauen.

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Hertha muss sich um Eckbälle bemühen, ebenso um Freistöße aller Art. Von daher werden wir auch ein Spiel mit vielen Unterbrechungen sehen, die die Berliner erzwingen werden. Hertha braucht Glück, Konzentration und bedingungslosen, aufopferungsvollen Einsatz, um in irgendeiner Form was zu holen.


 Auf welche Duelle es zwischen Hertha und dem BVB ankommen kann, lest ihr hier.


Hertha ist auf Schützenhilfe angewiesen und am Ende der lächelnde Dritte

Am Ende wird die Mannschaft als Verlierer vom Platz gehen. Dortmund ist an diesem Tag einfach zu stark. Trotz allem wird es kein Auftritt zum Weggucken sein, was uns die Berliner zeigen werden. Die Herthaner werden den Westfalen lange Paroli bieten und nichts abschenken. Auch wenn sie vom Druck nur so erwürgt werden, schaffen sie es die Situation in irgendeiner Form positiv anzunehmen. Doch die individuelle Klasse der Borussen wird am Ende das Spiel entscheiden. Insbesondere Hertha-Mörder Erling Haaland wird sich mit mindestens einem Tor verabschieden.

(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Am Ende stehen null Punkte auf der Habenseite der Hertha. Man ist im Kampf um den Klassenerhalt auf die Schützenhilfe der Kölner in Stuttgart angewiesen. Und es gelingt. Köln erkämpft ein Unentschieden in Stuttgart. Da die Kölner Konkurrenz ebenso punkten wird, geht es für die Kölner allerdings trotzdem nur in die Conference League. Der VfB Stuttgart muss in die Relegation. Hertha ist gerettet und feiert als einzige der drei Mannschaften.

[Titelbild: Boris Streubel/Getty Images]