Drei Thesen für Hamburger SV – Hertha BSC

Drei Thesen für Hamburger SV – Hertha BSC

Vor der Relegation: Der HSV im Gegner-Check

Vor der Relegation: Der HSV im Gegner-Check

Hertha muss nachsitzen. Wie vor zehn Jahren. Nach drei verpassten Matchbällen geht es in diesem Jahr gegen den HSV. Die Hamburger wollen ihrerseits nach vier Jahren Zweitklassigkeit ins Oberhaus zurückkehren. Wie der HSV es auf Position drei geschafft hat, welche Rolle der „Walter-Ball“ dabei spielt und warum es für beide Teams auch gegen ein Narrativ anzukämpfen geht, lest ihr im Gegner-Check.

Nach dem 34. Spieltag der regulären Saison gab es erstmals die Konstellation, dass der HSV dritter in der 2. und Hertha zeitgleich drittletzter in der 1. Liga waren. An jedem anderen Spieltag der Saison hätte das Aufeinandertreffen in der Relegation anders geheißen. 

Doch die Abschlusstabelle ist nun einmal entscheidend. Und so stehen sich in der Relegation zwei Schwergewichte des deutschen Fußballs gegenüber. Platz drei bedeutet für den HSV die beste Platzierung in ihrer Zweitliga-Geschichte. Der Erfolg ist eng verknüpft mit dem Trainer Tim Walter.

Mit “Walter-Ball” zum Erfolg

Christian Titz, Hannes Wolf, Dieter Hecking, Daniel Thioune. Der HSV hat nach dem Abstieg Trainer mit unterschiedlichsten Philosophien an der Seitenlinie gehabt. Mit Tim Walter ist man vor dieser Spielzeit dann durchaus ein Risiko eingegangen. Schließlich hatte Walter mit seiner Spielidee beim VfB Stuttgart im Unterhaus keinen Erfolg.

Dabei hat der 46-jährige ehemalige Trainer von Bayerns U23 und Holstein Kiel seine ganz eigene Idee entwickelt: den „Walter-Ball“. Sein Team tritt dabei in der Grundordnung 4-3-3 auf. Hier sind die Spieler extrem flexibel. Im Ballbesitz werden Positionen immer wieder getauscht, viel Bewegung ist der Schlüssel.

Will mit dem HSV aufsteigen: Tim Walter

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Das fängt im Spielaufbau an. Der HSV spielt keine langen Bälle, sondern sich stets flach raus. Dabei ist der Torwart der erste Aufbauspieler. Ist er im Ballbesitz, rücken die Außenverteidiger gerne mal auf, die Innenverteidiger schieben breit raus und ein Mittelfeldspieler lässt sich ins Zentrum fallen. Dabei folgt der Spielaufbau keineswegs einem Schema F. Variabilität ist auch hier der Schlüssel.

Der Vorteil des „Walter-Balls“: der HSV überbrückt schon im Aufbau, so er denn gelingt, die ersten Ketten des Gegners. Bei Ballverlusten setzt der HSV wuchtig nach, probiert den direkten Wiedergewinn zu erzwingen. Eine tiefere Analyse des „Walter-Balls“ lieferte Taktik-Experte Tobias Escher vor wenigen Monaten.

Die Schlüsselspieler

Walters anspruchsvolle Spielidee fängt beim Keeper an. Daniel Heuer Fernandes glänzt in dieser Spielzeit nicht nur als Elfmeter-Killer, sondern auch als guter Fußballer. Im Ballbesitz rückt er mitunter weit auf, um das Spiel aufzubauen. Was meistens funktioniert, birgt auch ein Grundrisiko. Wie im Spiel gegen den SC Paderborn, als ein Hamburger in der eigenen Hälfte den Ball verlor und der Paderborner Srbeny über den weit aufgerückten Heuer Fernandes einschießen konnte.

In der regulären Saison stellte der HSV mit 35 Gegentoren die beste Abwehr der Liga. Hervorzuheben ist hierbei die Innenverteidigung, bestehend aus Kapitän Sebastian Schonlau und Mario Vuskovic. Mit 64,14 Prozent gewonnener Zweikämpfe ist Vuskovic der beste Hamburger in dieser Disziplin. Auf Platz drei kommt Schonlau, der 61,21 Prozent seiner Duelle gewinnt. Mit 91,17 Prozenr angekommenen Pässen wies Schonlau in dieser Hinsicht gleich den zweitbesten Wert der gesamten Liga auf.

Im Dreier-Mittelfeld ist der defensiv starke Jonas Meffert gesetzt. Seine knapp 90 Prozent angekommenen Pässe unterstreichen seinen Wert im „Walter-Ball“, immer wieder kann er sich fallen lassen und Bälle verteilen.

Vor ihm ist neben Ludovit Reis vor allem Sonny Kittel extrem auffällig. Der polyvalente Spieler kommt in dieser Saison auf neun Tore und 16 Vorlagen. Wie die gesamte Hamburger Offensive legt er Tore besonders gern per Flanke auf.

Und am aller liebsten auf Hamburgs Zielspieler Nummer eins in der Offensive: Mittelstürmer Robert Glatzel. Mit 22 Toren spielt der 28-Jährige seine persönlich stärkste Saison. Sowohl aus dem Mittelfeld, vor allem aber über die Flügel wird Glatzel immer wieder gesucht. Zwölf seiner Tore erzielte der 1,93m-große Stürmer per Kopf. Vor allem seinetwegen stellte der HSV die drittbeste Offensive der 2. Liga.

Bester Torschütze des HSV: Robert Glatzel

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

“Walter-Ball” knacken

Die drittbeste Offensive der Liga, die beste Defensive der Liga. Klingt im ersten Moment nicht wie der typische Drittplatzierte, der in die Relegation muss. Doch der HSV ließ im Saisonverlauf immer wieder Federn.

Denn der HSV zeigte sich im Vergleich zu den Aufsteigern aus Gelsenkirchen und Bremen zu oft verwundbar. Ein Paradebeispiel, wie man den HSV knacken kann, lieferte in der Rückserie Werder Bremen. Dem variablen Spielaufbau der Hamburger setzte man ein mannorientiertes Anlaufen entgegen, setzte die HSV-Defensive unter Dauerdruck. 

Werders zentrale Mittelfeldspieler übernahmen dabei Hamburgs Außenverteidiger, die Stürmer Werders verdichteten das Zentrum. So entwickelte Werder ein extrem hohes Pressing, zwang den HSV immer wieder zu Ballverlusten.

Das funktionierte, auch weil Werder im entscheidenden Moment taktisch umstellte. Mit der Führung im Rücken stand man tiefer, überließ dem HSV den Ball. Und konzentrierte sich darauf, Glatzel aus dem Spiel zu nehmen. Fast wie ein Bewacher stand ihm Bremens Ömer Toprak an der Seite.

Ausgebremst: Werder Bremen knackte den HSV

(Photo by Martin Rose/Getty Images)

Der Schlüssel zu diesem Sieg widerspricht zwar allem, wofür Hertha in dieser Saison steht. Denn mit gerade einmal durchschnittlich acht ballerobernden Aktionen pro Spiel in der gegnerischen Hälfte war in dieser Disziplin in der Bundesliga niemand so ungefährlich wie Hertha. Doch Mut sollte machen, dass dieses hohe Pressing gar keine 90 Minuten durchgezogen werden musste.

Um den HSV zu schlagen, muss Hertha in jedem Fall mutiger auftreten als zuletzt. Und auch taktisch variabler. Denn überlässt man den Hamburgern den Ball dauerhaft, werden sie Mittel finden, um Glatzel ins Spiel zu bringen. Gleichzeitig muss das Risiko, selber das Spiel zu machen, oder früh zu pressen, immer wieder abgewägt werden. Denn so könnten sich Gelegenheiten für den HSV bieten und es steht viel auf dem Spiel…

Mit dem Narrativ brechen

Der HSV und die Relegation – das galt mal als die perfekte Symbiose. In den Jahren 2014 und 2015 rettete sich der einstige Bundesliga-Dino gleich doppelt über diesen Modus. Gegen Fürth half die Auswärtstorregel, gegen den Karlsruher SC ein zumindest zweifelhafter Freistoß. 2017 rette sich der HSV am letzten Spieltag spektakulär, entging einer erneuten Relegation erst in der 88. Minute.

Doch das Bild des Clubs, der in letzter Sekunde immer wieder den Kopf aus der Schlinge zieht, ist  längst verwischt. 2018 mussten die Hamburger den Gang in die Zweite Liga antreten. Es folgten drei Versuche der Rückkehr ins Oberhaus, alle endeten auf dem undankbaren vierten Platz. Teils verspielte man in der Hansestadt große Vorsprünge.

Und so tritt der HSV zum dritten Mal in acht Jahren in der Relegation an. Doch es geht nicht nur gegen Hertha, sondern auch gegen das Narrativ des Scheiterns. Aus den einst unabsteigbaren Hamburgern droht das genaue Gegenteil zu werden. Und auch der HSV weiß: Jedes weitere Jahr in der Zweiten Liga ließe die Lücke zum Oberhaus weiter wachsen.

Der HSV möchte kein weiteres Mal scheitern

(Photo by Cathrin Mueller/Getty Images)

Doch nicht nur für den HSV geht es darum, eine sich selbsterfüllende Prophezeiung abzuwenden. Auch bei der Hertha würde ein Erfolgserlebnis eine Erzählweise über den Verein zumindest vorläufig verstummen. Denn nach einer Aneinanderreihung von Negativerlebnissen in den vergangenen Jahren wäre ein Abstieg, noch dazu über die Relegation, die es in den vergangenen Jahren stets gut mit dem Erstligisten meinte, der nur allzu gut ins Bild passende vorläufige Tiefpunkt.

[Titelbild: Martin Rose/Getty Images]

Warum Labbadia der Richtige für Hertha ist

Warum Labbadia der Richtige für Hertha ist

Trainer Nummer vier in der aktuell noch ruhenden Saison: Bruno Labbadia ist neuer Hertha-Chefcoach. Am Montag ist der 54-Jährige bei der Pressekonferenz in Berlin offiziell vorgestellt worden. Für zunächst zwei Jahre soll er die Profi-Mannschaft von Hertha BSC leiten. Eine große Überraschung ist die Nachricht nicht völlig: der Name „Labbadia“ geisterte bereits bei der Entlassung von Ante Covic im vergangenen Winter, und sogar als die Amtszeit von Pal Dardai zu Ende war, durch die Medien. Traineralternativen, die Arbeit des Managers oder den Zeitpunkt der Verpflichtung soll zunächst kein großes Thema sein: an diesem Ostersonntag wollen wir uns darauf konzentrieren, was für ein Trainer Bruno Labbadia überhaupt ist. Was er bisher geleistet, in seinen letzten Clubs für Spuren hinterlassen hat und wie seine Ausgangslage bei der „alten Dame“ aussehen wird.

Zur Seite standen uns dazu Sven als HSV- und Dennis als VfL Wolfsburg-Experte. Sven (auf Twitter @SvenGZ) ist HSV-Blogger und -Podcaster beim „HSV-Talk”, wo er auch über Bruno Labbadia in einer kurzen Podcastfolge sprach. Dennis (auf Twitter @WobTikal) half uns bereits im letzten Vorbericht gegen den VfL, die Wolfsburger besser einzuschätzen.

Vorgezogene Sommerpause als Wechsel-Gelegenheit

Labbadia kommt also zu Hertha BSC, zusammen mit seinem Staff bestehend aus Eddy Sözer, Günter Kern und Olaf Janßen. Und das nicht erst im Sommer, sondern bereits in der Corona-bedingten Ruhephase der Saison, die Michael Preetz als „vorgezogene Sommerpause“ bezeichnet. Der neue Coach soll also auch in der kommenden Saison Hertha trainieren. Dass Interimstrainer Alexander Nouri nur noch die „Lame Duck“ war, war kein Geheimnis. Von der Klubführung wurde bereits deutlich gemacht, dass im Sommer ein anderer Fußballlehrer die Mannschaft leiten würde.

Zum Teil lassen sich auch aus Spielerinterviews Zeichen herauslesen, dass der Nouri nicht mehr zu hundert Prozent bei der Sache war. Beispielsweise behauptete Maximilian Mittelstädt, sein Trainer hätte ihn während dessen Quarantäne nicht einmal kontaktiert. Jetzt herrscht wieder Klarheit und die Trennung mit Jürgen Klinsmanns Team ist endgültig vollzogen – bis auf Arne Friedrich ist kein Mitarbeiter mehr bei Hertha beschäftigt, der zusammen mit Klinsmann kam. Torwarttrainer Zsolt Petry, die Athletiktrainer Henrik Kuchno und Hendrik Vieth bleiben dem Hertha-Stab erhalten. Labbadia bei seiner ersten Pressekonferenz bei Hertha: “Hertha war mein Wunschverein im Sommer, jetzt auch. Ich sehe in der Mannschaft und im Verein Potenzial. In meiner Situation ist mir wichtig, mit welchen Menschen ich arbeite. Ich muss nicht mehr alles machen. Die Gespräche mit Michael Preetz und Präsident Werner Gegenbauer haben mir richtig gut gefallen. Auch die Menschen, die ich bisher hier getroffen habe.”

Noch lange bevor die Zusammenarbeit offiziell wurde – kurz nach dem Abgang von Jürgen Klinsmann – wurde der Manager auf der danach stattfinden Pressekonferenz befragt, ob nun einer der in der Bundesliga üblichen Verdächtigen nun übernehmen würde, wie beispielsweise ein Labbadia. Preetz’ etwas genervte Antwort lautete damals: „Entschuldigung, aber wir sprechen über einen Kollegen, der in den letzten Jahren in der Bundesliga sehr, sehr gute Arbeit geleistet hat.“ Ein Schelm, wer hier eine Verbindung erkennen will. Die Aussage vom Hertha-Manager wollen wir aber überprüfen: Wie ist Labbadias Arbeit in den letzten Jahren zu bewerten? Hier wechseln wir unsere Hamburger und Wolfsburger Experten ein.

Eine Dino-Rettung in zwei Akten

Beim HSV hatte Bruno Labbadia sogar zwei Amtszeiten. Sven fasst diese für uns zusammen: „In der ersten Amtszeit (2009/10) spielte der HSV zu Anfang einen wunderbaren, vielleicht sogar seinen besten Fußball der 2000er Jahre. Top motiviert und auch taktisch gut aufgestellt. Im Frühjahr 2010 verlor die Mannschaft jedoch das Vertrauen in Bruno, der mit Rückschlägen schlecht umgehen konnte und so wurde er entlassen, obwohl man im Halbfinale der Europa League, deren Finalort in diesem Jahr Hamburg war, stand. Ehrlich gesagt blutet mir bei dem Gedanken daran immer noch das Herz.“

Einige Jahre später kehrte der gebürtige Darmstädter nach Hamburg zurück: dieses Mal in einer ganz anderen Rolle. Er habe seine Geschichte beim HSV als „unvollendet“ gesehen und versuchte sich dieses Mal als Feuerwehrmann. „In der zweiten Amtszeit (April 2015 bis September 2016) schaffte Labbadia ein kleines Wunder. Sechs Spieltage vor dem Saisonende war der HSV quasi abgestiegen, die Mannschaft tot und die Lage hoffnungslos. Bruno hauchte dem Team den Glauben an sich selbst ein und man schaffte noch die Relegation gegen Karlsruhe und schlussendlich den Klassenerhalt.“

Und trotz dieses Erfolgs genoss Labbadia kein allzu großes Vertrauen beim ehemaligen Bundesliga-Dino. „Eine Mannschaft zu stabilisieren, spielerisch und taktisch zu formen war nicht sein Ding und auch wenn die Saison 2015/16 auf Platz 10 (41 Punkte) abgeschlossen wurde, mehrten sich die Zweifel an seinem Wirken und so wurde er nach einem Fehlstart in die Saison 2016/17 (1 Punkt aus 5 Spielen) beurlaubt“, erinnert sich Sven.

Stärken und Schwächen in Hamburg

Dennoch hat Labbadia damals seine Stärken aufzeigen können, zu denen Sven folgende zählt: „Motivation und Zusammenhalt erzeugen! 2015 hat er binnen kürzester Zeit aus den Spielern eine Einheit geformt, hat ihnen positives Denken eingeimpft und so den Klassenerhalt ermöglicht. Übrigens sehen das die Spieler auch so (…). Die Veränderung war also weniger taktischer, denn moralischer Natur.“

Die damaligen Defizite des Ex-Trainers hingegen schätzt Sven folgendermaßen ein: „Vielleicht kann man herauslesen, wie sehr mir diese Rettung 2015 in Erinnerung geblieben ist, allerdings kann sie auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Labbadia es nicht geschafft hat, das Team nachhaltig zu stabilisieren, oder gar weiterzuentwickeln.“ Allerdings ordnet Sven seine Aussage auch im chaotischen HSV-Kontext ein und führt aus: „Wie weit dies zu dieser Zeit in Hamburg überhaupt möglich war, ist allerdings mehr als fraglich, da sich am HSV seit Jahr und Tag die Trainer die Zähne ausbeißen.“

Die Eindrücke unseres HSV-Experten bestätigen zunächst das, was allgemein über Labbadia gesagt wird. Er sei ein Arbeiter, Motivator und Feuerwehrmann, der seine Stärken vor allem im Aufbau einer soliden Mannschaft hat, seine Grenzen jedoch in der spielerischen Weiterentwicklung seiner Mannschaft findet. Ob sich das auch in Wolfsburg bewahrheitet hat, besprechen wir mit unserem VfL-Experten Dennis. Auch er beschreibt die Zeit beim VfL unter Bruno Labbadia:

„Wir steigen ab, wir kommen nie wieder…“

„Bruno kam zu uns, nachdem Martin Schmidt für Außenstehende sehr überraschend nach einem knappen 1:2 gegen die Bayern zurückgetreten ist”, erinnert sich Dennis an den Februar 2018, “Er hatte früh in der Saison von Andries Joncker übernommen, man war vorsichtig optimistisch, umso erschreckender war der Rücktritt. Und dann holt man Bruno Labbadia. Es wirkte wie eine reine Verzweiflungstat, roch nach purer Panik.“

„Die Abstiegsränge kamen immer näher und die Stimmung wurde nicht besser, dauerte es doch sechs Spiele, bis der erste Sieg eingefahren werden konnte. Das größte Problem bekam er auch erstmal nicht in den Griff: Die Lethargie, die diese Mannschaft ausstrahlte, war erschreckend. So kam es auch zum Bruch mit den Fans (“wir steigen ab und kommen nie wieder, denn wir ham Bruno Labbadia”). Es folgten noch einige Niederlagen, teilweise schlimme Spiele, bis dann am letzten Spieltag gegen die mausetoten Kölner der “rettende” Sieg geholt wurde. Relegation. Schon wieder.”

“Die wurde dann, den Umständen entsprechend, ganz okay überstanden und es ging in die neue Saison. Einen völlig unausgereiften Kader reorganisieren, neu motivieren, vorantreiben”, beschreibt Dennis die damalige Aufgabe Labbadias. Wie also verlief die Wandlung von der knappen Rettung in der Relegation zu einer offensivstarken Mannschaft mit europäischen Ambitionen?

Von der Relegation zur Europa League

Auch das erklärt uns Dennis: „Das erste war: Fitness. Gemeinsam mit Eddy Sözer wurde die Mannschaft getrimmt, eine Sache, die ihr ganz schön abging. Der Kader wurde analysiert, einige Spieler aussortiert oder, wie im Falle von Divock Origi, gehen gelassen und so wurde viel am Zusammenhalt geschraubt. Das hat toll funktioniert. Die Mannschaft funktionierte ganz anders, fightete, war erfolgreich.“ Einmal mehr hatte es Labbadia also geschafft, eine Mannschaft zu einer Einheit zu formen, welche die wichtigsten Tugenden des Fußballs lebte.

„Die Spielweise selbst war gar nicht so anders, als sie es unter Schmidt war. Aber mit Weghorst war ein anderer Stürmer involviert, der durch seine Laufstärke und Nervigkeit zum Spiel passte. Das war erfolgreich, man kam in einen positiven Lauf und plötzlich klappte fast alles. Auch unter Labbadia gab es schlechte Spiele, aber in Summe hat er eine Mannschaft genommen, die am Boden lag und hat sie aufgebaut, Motiviert, zusammengeschweisst und die Spielweise optimiert, ohne sie umzuwerfen. Das hat ein bisschen gedauert, aber es hat geklappt. Es war längst nicht alles Gold, was glänzt – das wird in Anbetracht des 8:1 an seinem letzten Spieltag gerne übersehen. Aber es war positiv.“

Am Saisonende lief der Vertrag von Labbadia aus und wurde nicht verlängert. Auch da hatte es verschiedene Gründe, ein wichtiger Grund war jedoch der längere Konflikt mit dem Geschäftsführer Sport Jörg Schmadtke. Doch was blieb nach seinem Abgang noch übrig?

„Ich finde, der Zusammenhalt im Team ist deutlich gewachsen. Das Gefühl, ein mündiges Team zu haben, das hält heute noch an. Als Glasners Taktik einfach nicht mehr richtig funktionieren wollte, stand die Mannschaft auf und diskutierte mit dem Trainer – der Schritt zurück zum erfolgreichen 4-3-3 aus der Vorsaison funktionierte prima. Ich glaube nicht, dass es das vorher so gegeben hätte. Er nahm einen Kader, der offensichtlich nicht funktionierte, zu viele Eigenbrödler (Origi, Didavi…) besaß und formte gemeinsam mit Schmadtke daraus ein Team. Er erreichte die Mannschaft immer und hatte oft gute Lösungen für den Gegner.“

Über 4-3-3 und Offensivfußball

Unsere Experten haben also unterschiedliche Situationen mit demselben Trainer erlebt. Die knappe Rettung beider Klubs als einzigen Erfolg zu sehen, würde allerdings zu greifen. Auch Labbadia zeigte mehr Qualitäten, als nur die eines „Feuerwehrmannes“. Doch was für ein Fußball wird er in Berlin wohl spielen lassen?

Wie bereits von Dennis angesprochen, lässt Labbadia am liebsten im 4-3-3 spielen. Dieses System versuchte er mit überdurchschnittlich viel Ballbesitz und einer offensiven Grundausrichtung zu leiten. Gerade beim VfL Wolfsburg funktionierte es phasenweise sehr gut und es ist davon auszugehen, dass er eine ähnliche Spielweise auch bei der „alten Dame“ einbringen wird. Da Hertha eigentlich schon seit den Zeiten unter Jos Luhukay bereits an ein 4-3-3/4-2-3-1 gewöhnt ist, sollte die Ausrichtung Labbadias gut nach Berlin passen.

An dieser Stelle empfehlen wir die Folge des “Immerhertha”-Podcast zu Bruno Labbadia. Dort sprechen die Journalisten unter anderem auch über die Qualitäten von Bruno Labbadia als “Offensivtrainer”.

„Mein Team und ich freuen uns total auf diese Aufgabe“, sagte Labbadia, nachdem seine Verpflichtung offiziell wurde, und ergänzte: „Es liegt viel Arbeit vor uns“. Arbeit ist ein gutes Stichwort, denn gerade als Arbeiter ist der gebürtige Darmstädter bekannt. Auch die Spieler bei Hertha BSC sollten gewarnt sein. Gerade auf fleißige, hart arbeitenden Mentalitätsspieler legt der 54-Jährige viel Wert.

Für Statistiken- und Zahlen-Liebhaber lohnt sich natürlich ein Blick auf die historische Punkteausbeute des neuen Hertha-Coaches. In seinen zwei kompletten Spielzeiten in der Bundesliga holte er 2015/2016 mit dem HSV im Durchschnitt 1,21 Punkte pro Spiel, 2018/2019 mit dem VfL dafür 1,62 Punkte pro Spiel.

Im Vergleich dazu bietet sich in den letzten Jahren die Bilanz von Pal Dardai an: 2015/2016 holte er 1,47 Punkte pro Spiel, 2016/2017 noch 1,44. 2017/18 und 2018/2019 waren es nur noch 1,26. Die letzten drei Hertha-Trainer diese Saison holten nicht mehr als 1,25 Punkte pro Spiel (Alexander Nouri in vier Partien).

Mit Labbadia eine Wiederauferstehung für Hertha?

Gerade die Kritik, Hertha könne die notwendigen Schritte für seine Ambitionen nicht einfach mit Millionen-Beträgen von Lars Windhorst und großen Sprüchen überspringen, war zuletzt oft zu lesen und zu hören. Eine kaputte, verunsicherte und womöglich auch schlecht zusammengestellte Mannschaft wieder aufzubauen ist der Schritt, den Hertha BSC jetzt braucht. Gerade ein solcher Schritt dauert bekanntlich länger als eine Saison. Die zwei Jahre Vertrag, die Bruno Labbadia zunächst als Cheftrainer bei Hertha BSC bekommt, könnten allerdings genau dieser „kleinere“, wichtige Schritt sein, die der Haupstadtklub beschreiten muss, um nach höheren Sphären zu greifen.

Der gebürtige Darmstädter scheint für so etwas genau der Richtige zu sein. Gerade in Wolfsburg hat er bewiesen, dass genau das seine Stärke ist. Auch seine Vorliebe für Offensivspiel könnte die Sehnsucht der „alten Dame“ nach attraktiverem Fußball befriedigen. Die große Frage bleibt: wird man ihm in Berlin die Zeit lassen? Gerade die Wunschvorstellung von Investor Lars Windhorst, mit Hertha bereits in den nächsten Jahren europäisch vertreten zu sein, könnte problematisch werden. Fehlende Geduld der Vereinsführung hatte bereits in Hamburg und Wolfsburg zu Spannungen mit dem Trainer geführt, und auch in Berlin wäre ordentlich Konfliktpotenzial vorhanden.

Doch zunächst kann an der Spree ein Stück weit Vertrauen zurückkehren: der neue Cheftrainer von Hertha BSC bringt alles mit, um die Mannschaft aufzurichten, sie als Team zu besserem Fußball zu führen und vor dem Abstieg zu bewahren. Quasi eine Wiederauferstehung des Berliner Klubs also. Sollte ihm das gelingen, wäre das bereits ein großer Erfolg. Mit Labbadia ist der Realismus nach Berlin zurückgekehrt, ein Schritt nach dem anderen gehen zu müssen und nicht bereits vom fünften zu reden, während man beim dritten noch droht zu stolpern.

Labbadia will’s wissen

Und während Hertha gewillt ist, aus seinen Fehlern der Vergangenheit zu lernen, scheint Labbadia das bereits getan zu haben. Der 54-Jährige soll bei seinen ersten Stationen menschlich noch als recht schwierig gegolten haben, hinzu kamen seine taktischen Defizite. Labbadia ist allerdingsein immer größerer Teamplayer geworden (immerhin haben Schmadtke und er die Saison trotz ihrer Differenzen noch gemeinsam zu Ende gebracht) und hat auch fußballerisch dazugelernt. In den Zeiten, in denen er ohne Traineramt war, hat er sich bei anderen Vereinen weitergebildet und so ließ er bei Wolfsburg schon einen deutlich besseren Fußball spielen als noch bei seinen vorherigen Stationen. Bei Hertha will Labbadia nun endgültig den Imagwechsel vollziehen – weg vom Feuerwehrmann, hin zum Entwickler.

Wenn man es so formulieren will, vereint Labbadia das beste aus den letzten Hertha-Trainern in sich: er bringt die Akribie und lange Bundesliga-Erfahrung eines Pal Dardai mit sich, zusätzlich den fußballerischen Anspruch eines Ante Covic und schlussendlich die Gelassenheit eines Jürgen Klinsmann, der bereits alles im Fußball gesehen hat und daher eine gewisse Gelassenheit ausstrahlt. Labbadia ist zwar “schon” 54 Jahre alt, was bei den Nagelsmännern und Kohfeldts dieser Liga bereits rüstig daherkommen könnte, aber der Mann hat noch nicht fertig – im Gegenteil, Labbadia will es allen beweisen, dass er mehr kann, als nur zu retten. “Unser Spiel bedarf vieler Sprints und Tempoläufe. Wir werden in allen Bereichen arbeiten: Athletik, Organisation, Taktik. Das findet nicht nur auf dem Platz statt. Das wird sehr intensiv. Einige sagen, es ist zu intensiv. Aber das ist unser Spiel. Für mich ist es ein geiles Spiel. Ich habe Bock auf Fußball. Ich lasse mir die Freude am Fußball nicht mehr nehmen. Ich will das leben”, gab sich Labbadia bei seiner Antritts-PK hoch motiviert.

Dieses Feuer kann Hertha sehr gut nutzen, auch weil der neue Trainer durch seine Ambitionen sicherlich nicht als Ja-Sager auftreten und somit Michael Preetz Paroli bieten wird. Schaffen es Geschäftsführer und Trainer, diese potenziellen Reibungen konstruktiv zu nutzen, kann etwas entstehen. Hier sind beide Seiten gefordert. “Ich habe Michael Preetz sofort zu dieser sehr guten Lösung gratuliert”, berichtete Frankfurts Sportvorstand und Ex-Hertha-Profi Fredi Bobic der BamS, “Bruno ist menschlich eine Eins mit Sternchen, ein total gerader Typ, extrem motiviert. Er gehört sicher zu den Top-3-Lösungen, die der Markt gerade zu bieten hat.” Auch Bobic kann bezeugen, dass Labbadia an sich gearbeitet hat: “Er will immer den totalen Erfolg, das treibt ihn an. Er ist sehr erfahren, aber nicht mehr ganz so verbissen wie früher.“ Von einem abgehalftertem Verwalter kann bei Herthas neuem Übungsleiter also keinesfalls die Rede sein.

„Bittersüße“ Abschiedsgrüße

Gerade bei Fußballtrainern zählt auch die Art und Weise des Abschieds eine Rolle. Genauso wichtig, wie die reinen sportlichen Zahlen, ist der Eindruck, den Trainer in alter Wirkungsstätte hinterlassen. Deshalb haben wir unsere Experten gefragt, was sie Ihrem Ex-Trainer heute noch sagen würden.

Sven würde folgendes loswerden: „Ich würde Bruno darauf hinweisen, dass er es bei seinem ersten Versuch nicht geschafft hat mit einer guten Mannschaft (Vereins-) Geschichte zu schreiben, ihm dies fünf Jahre später jedoch gelungen ist. Dafür würde ich ihm danken und ihm das Versprechen abnehmen, es nicht noch einmal zu versuchen!“

Auch die Abschiedsbotschaft von Dennis an Labbadia ist eher in der Kategorie „Bittersüß“ einzuordnen: „”Danke.” Und auch – da werden einige VfL-Fans aber lautstark einer anderen Meinung sein: “Ist besser so gewesen, für alle”. Denn wenn Bruno Labbadia in seiner Karriere was gezeigt hat, dann, dass er Mannschaften retten kann, zusammenraufen, das Beste herausholen. Woran er häufig scheiterte, war der nächste Schritt, weg vom Optimieren, hin zum Entwickeln. Und ich hatte gegen Ende seiner Zeit hier und da schon das Gefühl, dass es knirschte, die Zusammenarbeit mit Schmadtke war offenkundig kein großes Vergnügen für ihn, deswegen: Vielen Dank Bruno. Alles Gute.”

Bei beiden Experten ist trotz der Trennung auffällig, dass eine gewisse Dankbarkeit bleibt, was nicht selbstverständlich und eher ein gutes Zeichen ist. Die meisten Hertha-Fans würden beispielsweise bei Jürgen Klinsmann gar keine Worte mehr brauchen. Eine simple Handgeste wäre sicher ausreichend.

Die Messlatte wurde also durch Klinsmann so dermaßen tief gesetzt, dass dem neuen Hertha-Trainer etwas Druck abgenommen wird. Als neuer Trainer wird Labbadia zum Start trotz vieler Vorurteile ein gewisses Grundvertrauen von Fans und Umfeld erhalten – vielleicht auch, weil dieser Artikel aufzeigt hat, dass die Ressentiments einiger Anhänger gegenüber Labbadia unbegründet sind. Zumindest so lange, wie er nicht plötzlich anfängt Facebook-Live Sitzungen zu organisieren und sich mit „Hahohe, euer Bruno“ zu verabschieden.