Immer wieder die Flügelspieler: die Hertha-Dauerbaustelle

Immer wieder die Flügelspieler: die Hertha-Dauerbaustelle

Es stimmt: Im modernen Fußball sind feste Positionen auf dem Spielfeld nicht mehr so wichtig wie früher. Alles verläuft „fließend“, Spieler verschieben je nach Spielsituation ohnehin ständig, vielseitige Spieler werden wichtiger. Trotzdem muss man bei Hertha BSC feststellen: die offensive Flügelspieler-Position ist eine Dauerbaustelle. Gefühlt eine Ewigkeit ist es her, dass die „alte Dame“ auf der linken und rechten Außenbahn keinerlei Probleme hatte. Wie die aktuelle Lage ist und welche Hoffnungen man sich für die nächste Saison machen kann, wollen wir uns genauer anschauen.

Altbekannte Problematik – kaum Lösungen

Doch wann hatte Hertha BSC zuletzt eine wirklich gut besetzte offensive Außenbahn? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten: die meisten würden Namen wie Salomon Kalou und Valentino Lazaro nennen. Andere würden sogar noch weiter zurück in die Vergangenheit blicken und Bart Goor und Sebastian Deisler nennen.

Worauf sich alle einigen können: die Problematik der offensiven Flügelspieler schleppt die „alte Dame“ bereits seit einigen Jahren mit sich. Insbesondere die Anzahl der gelernten offensiven Außenbahnspielern im Kader nahm mit den Spielzeiten zuletzt immer weiter ab. In der Saison 2019/2020 hatte Hertha u.a. mit Kalou, Dilrosun oder Lukebakio immerhin sechs solcher Spieler im Kader. 2020/2021 waren es zu Saisonende nur noch vier, in der Hinrunde 2021/2022 sogar nur noch drei (Maolida, Richter und Jastrzembski).

(Foto: Michael Sohn/POOL/AFP via Getty Images)

Die negativen Auswirkungen dieser komplizierten Kadersituation spürte man spätestens in der Saison 2020/21. „Notlösungen“ waren Alltag: Matheus Cunha, der eigentlich zentraler agiert, wurde immer wieder als Außenspieler eingesetzt. Auch der eigentlich bereits abgeschriebene Matthew Leckie bekam wieder Einsatzminuten, weil der eigentlich gesetzte Dodi Lukebakio zu oft unmotiviert über den Platz spazierte. Nemanja Radonjic kam als Leihspieler im Winter und konnte gegen Saisonende immerhin einige Scorerpunkte sammeln, wurde jedoch im Sommer nicht fest verpflichtet.

Hertha-Transfers in 21/22

So wurde die Saison 2021/2022 in Sachen Qualität auf den Außenbahnen zum neuen Tiefpunkt. Mit Radonjic, Leckie und Cunha verließen drei Optionen für die offensive Außenbahn den Verein. Fredi Bobic gab zusätzlich noch die enttäuschenden Javairo Dilrosun und Dodi Lukebakio ab, holte dafür lediglich Marco Richter und Myziane Maolida. Die Knappheit auf diesen Positionen verstärkte sich also nochmal.

Zudem konnten beide Neuzugänge nicht voll überzeugen. Marco Richter zeigte immerhin phasenweise starke Einsätze, mit Höhepunkten wie zum Beispiel sein Doppelpack im Heimsieg gegen Borussia Dortmund. Er erzielte fünf Tore, allerdings ausschließlich in der Hinrunde. In der Rückrunde hatte er deutlich größere Schwierigkeiten, litt sicherlich auch unter der allgemein sehr schwachen Mannschaftsperformance. In dieser Phase konnte er sich zu selten durchsetzen, verlor viele Bälle und war kein entscheidender Faktor mehr.

(Foto: Daniel Kopatsch/Getty Images)

Maolida hingegen hatte bis auf seinen Treffer im ersten Einsatz in Bochum kaum gute Momente und war nicht die erhoffte Verstärkung. Auch der im Winter hinzugeholte Dong-Jun Lee konnte nicht helfen. Der Südkoreaner wurde zwar von Cheftrainer Tayfun Korkut im allerersten Spiel noch reingeworfen, zeigte sich aber sichtlich überfordert mit dem Niveau in der Bundesliga, verletzte sich auch recht früh und spielte insgesamt nur 116 Minuten.

Keine Flexibilität – Herthas Taktik begrenzt

Dazu kamen Covid-19 Erkrankungen, Verletzungen und Sperren. So gab es einige Spiele, in denen Herthas Trainerteam auf den Außen besonders kreativ aufstellen musste. Im Heimsieg gegen den VfB Stuttgart am 31. Spieltag war lediglich der Jugendspieler Anton Kade, ansonsten kein einziger gelernter offensiver Außenbahnspieler im Kader.

Herthas Cheftrainer setzten immer wieder Spieler wie Serdar als Außenbahnspieler ein, stellten zentrale Mittelfeldspieler wie Vladimir Darida oder Lucas Tousart auf die rechte Außenbahn. Am Ende konnte jedoch keine Variante besonders überzeugen. Diese Schwäche konnte also im Laufe der Saison nie behoben werden. Dadurch war die „alte Dame“ in ihrer Taktik stark eingeschränkt. Sowohl im Spielsystem als auch in der Umsetzung des Spielplans war das Team kaum flexibel, weil die Außenbahnen nur suboptimal besetzt werden konnten.

Ob sich die Blau-Weißen für die nächste Saison nun besser aufstellen können, ist fraglich. Aktuell hat man mit den Leihrückkehrern und Kaderspielern für die offensive Außenbahn sechs Spieler. Auf Marco Richter kann Hertha sicherlich setzen. Er besitzt genug Qualität und Erfahrung für die Bundesliga, konnte sich vergangene Saison einspielen und da bereits einige Treffer erzielen.

Kann Hertha auf die Rückkehrer setzen?

Myziane Maolida hingegen wird sich wesentlich steigern müssen, um eine gute Option für die Startelf zu werden. Es bleibt die Hoffnung, dass er nach einer schwierigen ersten Saison, ähnlich wie sein Landsmann Lucas Tousart doch noch zu der erhofften Verstärkung wird. Ähnliches gilt bei Dong-Jun Lee, den man nicht zu früh abschreiben sollte.

(Foto: Romain Perrocheau/AFP via Getty Images)

Der nur 24-jährige Javairo Dilrosun erlebte eine schlimme Saison bei Absteiger Bordeaux, konnte aber in der Schlussphase der Saison nochmal aufdrehen. Ob er aber eine wirkliche Option für das Team von Sandro Schwarz wird, ist fraglich. Dodi Lukebakio hingegen wird höchstwahrscheinlich abgegeben werden: der Belgier hat nicht nur in seiner Leihe beim VfL Wolfsburg enttäuscht, sein Gehalt wird Hertha wohl nicht eine weitere Saison stemmen wollen, beziehungsweise können.

Kélian Nsona ist schließlich eine absolute Wundertüte. Der junge Mann hat bisher noch keine Spielminute für Hertha BSC bestritten und ist sportlich klar als Neuzugang zu bewerten. Er wird jedoch auch unabhängig von seiner Fitness Zeit brauchen, um auf Bundesliga-Niveau zu kommen. Auf seinen Schultern sollte man also nicht zu viele Hoffnungen legen.

Fazit:

Die Kadersituation (über die wir auch ausführlich in unserer letzten Podcast-Folge sprechen!) wird sich in den nächsten Wochen und Monaten noch signifikant verändern. Zwar hat Hertha aktuell auf dem Papier genug offensive Außenspieler. Diese bringen jedoch so viele Fragezeichen und Unsicherheiten mit, dass es erneut keine klare Lösung des Problems auf dieser Position darstellt. Auf dem Transfermarkt wird Hertha aber nur begrenzte Möglichkeiten haben. Die finanzielle Lage ist bekannt, man wird auf ablösefreie Spieler oder auf Leihgeschäfte hoffen müssen.

Eines ist klar: eine Saison wie die letzte, mit einer so großen Lücke im System, sollte sich Hertha nicht erlauben. Am Ende könnte aber wie auch bei anderen Baustellen im Kader die Antwort sein: man muss sie als Mannschaft lösen. Sollten Sandro Schwarz und sein Trainerteam es schaffen, aus diesen Spielern ein echtes Team zu bilden, wird die Außenbahnproblematik nicht mehr so schwer wiegen. Wenn dann sogar der eine oder andere Spieler zu seiner Form findet und über mehrere Spiele hinweg überzeugt, könnte sich das Blatt auch endlich wieder wenden. Es wäre nämlich auch langsam Zeit für neue Helden.

(Titelbild: Stuart Franklin/Getty Images)