Maximilian Mittelstädt – das uneingelöste Versprechen

Maximilian Mittelstädt – das uneingelöste Versprechen

„Der Berliner Junge bleibt: Maxi Mittelstädt verlängert!“. Diese Überschrift zierte den Text zur Verlängerung von Herthas Eigengewächs am 18. Januar 2023. Exakt 141 Tage später verlässt der Linksverteidiger seinen Jugendklub Hertha BSC, um für die kommende Saison beim Erstligisten VfB Stuttgart anzuheuern. Unser Text zum Abschied von Maximilian Mittelstädt.

Die ersten Schritte im Hertha-Trikot

Im Sommer 2012 wechselt der in Berlin geborene Mittelstädt als 15-jähriger von Hertha 03 Zehlendorf zur „großen“ Hertha in die Jugend. Zweieinhalb Jahre später ist er zum ersten im Profikader dabei, bleibt jedoch zunächst ohne Einsatz. Zu Beginn der Saison 2015/16 folgten weitere Berufungen, ehe er am 2. März 2016 gegen Eintracht Frankfurt in der 90. Minute für Salomon Kalou eingewechselt wird und sein Profidebüt feiern darf. Zum Ende der Saison folgen zwei weitere Einsätze, jeweils direkt über 90 Minuten. Einmal gegen den FC Bayern München und am vorletzten Spieltag gegen Darmstadt, wo der Linksverteidiger seine erste Vorlage beisteuert, die 1:2-Niederlage jedoch nicht verhindern kann.

(Photo by Jörg Schüler/Getty Images for DFB)

Bereits damals hieß der Konkurrent auf seiner Position Marvin Plattenhardt. Dieser war 2014 von Nürnberg zu Hertha gewechselt und mit 23 Jahren schon ein etablierter Bundesligaspieler. Zusammen mit dem 19-jährigen Mittelstädt war Hertha herausragend für die nächsten Jahre aufgestellt: zwei deutsche, junge Außenverteidiger, die noch viel Entwicklungspotential aufwiesen und sich gegenseitig hochpushen sollten. Unter Trainer Pal Dardai fand genau diese Entwicklung statt und gipfelte 2018 in der Berufung von Plattenhardt in den WM-Kader von Jogi Löw.

Von Fortschritt zu Stillstand

In der Saison 2016/17 kam Plattenhardt auf 2.820 Minuten, Mittelstädt auf 1.028. Ein Jahr später waren es fast 3.500 Minuten für Plattenhardt und 1.153 Minuten für Mittelstädt. Zur Wahrheit gehört jedoch, dass jeweils etwa 450 Minuten von Mittelstädts Einsatzzeit in der Regionalliga erfolgten, für einen nicht mal 20-jährigen Herausforderer allerdings nicht ungewöhnlich. Ab der Folgesaison gleichen sich die beiden Kontrahenten allerdings zunehmend an. Gerade einmal gut 100 Minuten war der erfahrenere Plattenhardt vorm Berliner Eigengewächs. Mittelstädt stand dabei in 25 Bundesligapartien auf dem Platz, Plattenhardt „nur“ 22. In der letzten Saison von Pal Dardais erster und bisher längster Amtszeit schien es, als sollte sich der Youngster langsam durchsetzen.

Mit der Demission Dardais und dem Einstieg von Lars Windhorst folgten viele Jahre Chaos beim Klub aus dem Berliner Westend. Inklusive der Einstellung von Ante Covic bis zur zweiten Rückkehrs Dardai zum Ende der abgelaufenen Saison fanden sage und schreibe neun Trainerwechsel an der Seitenlinie statt – und das in vier Jahren. Dies spiegelte sich auch auf Herthas linker Abwehrseite wider: während Mittelstädt in den Saison 2019/20 und 2020/21 jeweils mehr Minuten als Plattenhardt sammelte, dreht sich das Blatt in den letzten beiden Jahren wieder in Richtung des WM-Fahrers von 2018. Spätestens durch die Beförderung Plattenhardts zum Kapitän im letzten Sommer verfestigte sich der Status endgültig: Während der Torschütze vom Relegationsrückspiel über 2.500 Minuten absolvieren durfte – so viele wie seit der Saison 2017/18 nicht mehr (!) – sammelte das Eigengewächs Mittelstädt lediglich 841 Minuten. Weniger hatte er zuletzt ebenfalls 2017/18, damals kamen jedoch besagte Regionalliga-Spiele noch dazu. Das Auf und Ab, sowohl in sportlicher Hinsicht als auch neben dem Platz bei Hertha BSC, hatte seinen Tribut gezollt. Aus den zwei verheißungsvollen jungen Linksverteidigern waren zwei Profis geworden, die sich gegenseitig klein hielten anstatt sich aufzubauen und die so beide in ihrer Entwicklung stagnierten.

(Photo by CHRISTOF STACHE/AFP via Getty Images)

Hertha ist plötzlich blank

Daneben hatte dieser Zweikampf, der durch keinen der sportlich Verantwortlichen in Form eines Verkaufs aufgelöst wurde, verheerende Folgen für die Zukunft. Im Sommer 2021 verabschiedete sich mit Luca Netz der zweifache Gewinner der Fritz-Walter-Medaille aufgrund fehlender Perspektive in Richtung Borussia Mönchengladbach. In diesem Jahr folgte mit Lukas Ullrich der nächste verheißungsvolle Linksverteidiger in die gleiche Richtung. Da der Vertrag von Plattenhardt zudem ausläuft, dürfte Hertha BSC fest mit Mittelstädt als Führungsspieler und Stütze für die Mission Wiederaufstieg geplant haben. Mit dem etwas überraschend kommenden Abgang steht Hertha auf einmal Stand jetzt ohne Linksverteidiger da, eine undankbare Aufgabe für Manager Benny Weber.

Möglich macht dies eine Ausstiegsklausel, die aufgrund des Abstiegs auf etwa 500.000 – 800.000 Euro kolportiert wird und somit über eine Million niedriger als der derzeitige Marktwert (laut Transfermakt.de) liegt. Verhandelt wurde dies Klausel im Rahmen der groß zelebrierten Verlängerung Mittelstädts zum Beginn dieses Jahres, die unter anderem in Form eines 15-minütigen Interviews auf den vereinseigenen Kanälen gewürdigt wurde. „Ich muss nicht betonen, welchen Stellenwert Hertha BSC in meinem Leben besitzt“, ließ der Berliner zu diesem Zeitpunkt noch verlauten. Gut vier Monate später scheint der Stellenwert gesunken zu sein.

Ein leeres Bekenntnis

Groß verübeln kann man ihm das aus sportlicher Sicht nicht. Er kommt mit mittlerweile 26 Jahren langsam ins „beste Fußballalter“ und sollte den Anspruch haben, als Stammspieler gesetzt zu sein. Zudem kann ein Tapetenwechsel durchaus helfen, noch einmal einen kleinen Entwicklungssprung zu machen. Darüber hinaus dürfte die Bundesliga deutlich spannender sein, als mit Hertha in Zukunft nach Wiesbaden und Fürth zu fahren.

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(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Auf der anderen Seite dürfte Mittelstädt nach dem Auslaufen des Vertrages von Plattenhardt in diesem Sommer als absolute Nummer eins auf seiner Position eingeplant gewesen sein. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, dass er ausgerechnet in dem Moment, in dem sein ärgster Konkurrent den Verein verlassen soll, selbst geht. Für die meisten Fans nach dem Lippenbekenntnis im Winter sicher eine große Enttäuschung, die auch durchaus ihre Berechtigung hat. Die Fußballromantiker unter ihnen hatte möglicherweise auf eine „One-Club-Man“ Karriere bei Mittelstädt gehofft – etwas, das heutzutage im Fußball quasi nicht mehr existiert.

Neue Baustellen – auf und neben dem Platz

Wie sehr der Abgang sportlich wiegt, lässt sich nur schwer beantworten. Zum einen bringt Mittelstädt viele Qualitäten mit, die ein moderner Außenverteidiger heutzutage aufweisen muss: aktives Verteidigen, Dynamik, eine gewisse Dribbelstärke und Offensivgefahr. Daneben ist das Niveau in der zweiten Liga durchaus niedriger als in der Bundesliga, Mittelstädt wäre höchstwahrscheinlich ein überdurchschnittlicher Spieler in der nächsten Saison gewesen.

Auf der anderen Seite konnte er sich in den letzten Jahren nie gegen den stark abbauenden Plattenhardt durchsetzen, auch wenn es aufgrund der Kapitänsbinde hier sicher nicht nur sportliche Gründe dafür gab. Daneben hat Mittelstädt in 145 Bundesligaspielen zwei Tore und 15 Vorlagen beigesteuert – kein überragender Wert. Natürlich muss der sportliche Kontext Herthas mit betrachtet werden. Sportlich unersetzbar scheint der Neu-Stuttgarter allerdings auch nicht zu sein. Schwerer wiegen dürfte eher der Verlust eines Eigengewächses, das sicher auch als Ansprechpartner und Mentor aus der eigenen Akademie für die neue Generation Hertha-Spieler rund um Scherhant, Maza, Klemens und co. gedacht war. Diese Rolle werden nun die selbst noch nicht komplett im Profifußball angekommenen Jessic Ngankam und Marton Dardai übernehmen müssen. Ob ersterer bleibt, ist derzeit dabei ebenfalls noch nicht ganz sicher.

Hertha

(Photo by Maja Hitij/Getty Images)

Klar ist, Hertha verliert eine große Identifikationsfigur. Nach der langfristigen Verlängerung während der Winterpause ist das in dieser Hinsicht umso schmerzhafter. Die Enttäuschung, Wut oder Trauer vieler Fans ist daher gut nachvollziehbar. Zudem muss Hertha nun entweder ungeplant doch noch einmal mit dem eigentlich ausrangierten Plattenhardt verlängern oder eventuell sogar zwei neue Linksverteidiger finden, da U19-Spieler Eliyas Strasner wahrscheinlich noch nicht als Nummer zwei eingeplant werden kann. In Hinblick auf Herthas aktuelle Finanzlage keine dankbare Aufgabe. Gleichzeitig ist es eine Chance, nach Jahren des Stillstands sich auf der Position des Linksverteidigers endlich weiterzuentwickeln und so den Wiederaufstieg in den Angriff zu nehmen – womöglich ein Gleichnis für den Rest des Kaders und Teile des Vereins.

[Titelbild: Photo by Maja Hitij/Getty Images}

Der Transfersommer von Hertha BSC – Ein Zeugnis für Fredi Bobic

Der Transfersommer von Hertha BSC – Ein Zeugnis für Fredi Bobic

Die Transferphase ist die wahrscheinlich hektischste Zeit im modernen Fußballzirkus. Täglich gibt es neue Gerüchte, ein Rekord nach dem anderen wird pulverisiert und der ein oder andere Lieblingsspieler verlässt unter Umständen den Verein. Auch bei Hertha gab es in diesem Sommer wieder einige Transferaktivitäten, mit die meisten in der Bundesliga. Viel Arbeit also für den Geschäftsführer Sport Fredi Bobic. In diesem Artikel wollen wir ein kleines Fazit zur Transferphase ziehen und dem Manager ein Zeugnis ausstellen.

Vorbemerkungen

Bevor wir komplett einsteigen noch ein paar Anmerkungen: Die Saison ist noch jung und vieles lässt nicht vorhersagen. Daher ist naturgemäß ein gewisser Teil an Spekulation und persönlichen Einschätzungen enthalten. Des Weiteren ist uns bewusst, dass all die folgenden Themenschwerpunkte miteinander verknüpft sind und sie daher nur bedingt einzeln zu betrachten sind. Anzumerken ist des Weiteren, dass dieser Artikel nicht den Anspruchl hat, jeden Transfer zu erwähnen oder zu analysieren. Auch eine tiefergehende Bewertung jeder einzelnen Position findet nicht statt. Ziel ist es, ein Gesamtbild der Transferphase unter verschiedenen Gesichtspunkten zu zeichnen, quasi das „bigger picture“ zu betrachten. Wer eine Auflistung und Bewertung der individuellen Transfers möchte, kann beispielsweise diesen RBB-Artikel lesen.

Trainer

Nicht selten heißt es, dass der Trainer der wichtigste Angestellte im Verein ist. Ein Blick auf Konkurrenten wie Mainz, Köln oder auch Bremen zeigt: ein unveränderter Kader kann je nach Übungsleiter zu völlig unterschiedlichen Leistungen in der Lage sein. Und auch wenn es schlussendlich natürlich immer um das Zusammenspiel sämtlicher Akteure im Klub geht, lässt sich die Bedeutung des Coaches nicht absprechen. Um die Trainer-Entscheidung Bobics nach dem Klassenerhalt einzuordnen, ist ein kurzer Blick auf die vergangene Spielzeit notwendig.

Eine persönliche Niederlage

Nachdem Vereinsikone Pal Dardai in der Saison 2020/21 in einem beeindruckenden Schlussspurt den Klassenerhalt geschafft hatte, erhielt der damalige Trainer (berechtigterweise) viel Dankbarkeit. Sowohl die Fans als auch Verantwortliche bei Hertha wie Arne Friedrich und Werner Gegenbauer stärkten dem Ungarn öffentlich den Rücken. Für den zu diesem Zeitpunkt neuen Sportchef wäre eine Demission des ehemaligen Rekordspielers vermutlich auf starken Gegenwind gestoßen, sodass er zunächst an Dardai festhielt.

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Photo by Frederic Scheidemann/Getty Images

So wirklich glücklich wurden beide jedoch nie, im November folgte die Entlassung, Nachfolger Korkut war von Anfang an nur als Zwischenlösung geplant. Nach teils desaströsen Auftritten wurde Korkut anschließend von Felix Magath ersetzt. Die mehrmaligen Trainerwechsel bezeichnete Fredi Bobic auf der letzten Mitgliederversammlung als „persönliche Niederlage“.

Trainer mit klarer Philosophie

Nach einem Jahr Eingewöhnungszeit und dem Erarbeiten eines sportlichen Konzepts für den gesamten Verein installierte Bobic in diesem Sommer zum ersten Mal einen Wunschtrainer, der zur langfristigen fußballerischen Entwicklung passen soll. Die Wahl fiel auf Sandro Schwarz , der in seiner bisherigen Laufbahn zunächst in Mainz und anschließend in Russland bei Dinamo Moskau tätig war. Schwarz steht für die Art aktiven und pressing-orientierten Fußball, der in Westend zukünftig auf den Rasen gebracht werden soll. Bei seinen bisherigen Stationen war er dem Vernehmen nach mannschaftsintern extrem beliebt, eine seiner größten Stärken ist die Entwicklung von jungen Spielern.

Mit ihm auf der Bank ist bei Hertha erstmals seit langem ein spielerischer Plan erkennbar, auch wenn nach nunmehr bald drei Monaten Training und bisher sechs Pflichtspielen noch einiges an Arbeit vor ihm liegt. Es besteht jedoch durchaus Hoffnung, dass diese Verpflichtung durch Fredi Bobic den Grundstein für eine solidere Zukunft von Hertha legt und der Weg nach drei Jahren Abstiegskampf sukzessive wieder nach oben geht. Den Beweis, dass Schwarz sich dauerhaft in einer der besten Ligen der Welt durchsetzen kann, muss der vergleichsweise junge Trainer jedoch erst noch erbringen.

Fazit: Fredi Bobic hat mit Sandro Schwarz einen Trainer mit klarer und zum Verein passender Philosophie geholt. Basierend darauf, wie Herthas Standing auf dem Trainermarkt sein dürfte, eine solide und zukunftsfähige Wahl. Note: 2

Hertha-Finanzen

Vor gut drei Jahren investierte Lars Windhorst schrittweise etwa 370 Millionen Euro in den Verein. Dem Unternehmer schwebte damals ein vergleichsweise kurzfristig erfolgender Aufstieg Herthas in das europäische Geschäft vor. Ein paar schlechte Transferentscheidungen sowie eine weltweite Pandemie später ist vom Geld nicht mehr wirklich etwas übrig. Durch einen über die Jahre aufgeblähten Kader und fehlende Einnahmen weist Hertha ein jährliches Defizit wie kaum ein anderer Bundesligist vor. Für den verantwortlichen Geschäftsführer Sport keine angenehme Aufgabe. Alle Angaben beziehen sich auf transfermarkt.de.

Masse statt Klasse bei Hertha-Verkäufen

Nachdem Fredi Bobic bereits im vergangenen Sommer ein Transferplus von gut 20 Millionen Euro sowie einiges an eingespartem Gehalt erzielen konnte war auch dieses Jahr früh klar, dass man deutlich mehr Geld einnehmen muss als ausgegeben werden kann. Erneut legte man Spielern, die gehen wollten, keinen Stein in den Weg und erzielte durch Verkäufe Einnahmen in Höhe von 24 Millionen Euro.

Auffällig ist, dass Hertha kaum einen „großen“ Verkauf abwickelte, sondern sich hauptsächlich auf die pure Masse von Abgängen verließ. Begründen lässt sich das damit, dass nach den letzten Jahren schlichtweg kaum ein Spieler mehr im Kader war, der einen wirklich nennenswerten Marktwert besitzt. Doch auch Verkäufe im niedrigen bis mittleren Segment bei beispielsweise Arne Maier (5 Millionen zu Augsburg), Javairo Dilrosun (4 Millionen zu Feyenoord) oder auch Eduard Löwen (1 Million zu St. Louis) läppern sich und ergeben so die eben genannten Summe von 24 Millionen Euro. Zudem war bei Spielern von Torunarigha oder Ekkelenkamp von Gewinnbeteiligungen bei zukünftigen Weiterverkäufen zu lesen, sodass in den nächsten Jahren der ein oder andere Euro noch einmal folgen könnte.

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Photo by Boris Streubel/Getty Images

Negativ anzumerken ist hingegen, dass auch in diesem Sommer eine nicht unerhebliche Anzahl an Leihen abgeschlossen werden mussten. Neben Luca Wollschläger und Mesut Kesik, die als Jugendspieler jedoch anders zu bewerten ist, stehen Stand jetzt sechs Spieler im nächsten Sommer zunächst wieder bei Hertha im Kader. Vor allem bei Profis wie Santiago Ascacibar (Cremonese) und Omar Alderete (Getafe) hatten viele Fans auf Festverkäufe gehofft, um noch mehr Einnahmen zu generieren. Zu beachten ist dabei jedoch, dass im Zuge der Corona-Pandemie bis auf die Topklubs viele Vereine jeden Euro zweimal umdrehen und daher kaum bereit sind hohe Ablösen zu bezahlen. Und da man die eigenen Spieler auch nicht für den Bruchteil des Marktwertes abgeben möchte, sind Leihen unter dem Gesichtspunkt der eingesparten Gehälter am Ende immer noch sinnvoller, als die stadioneigene Tribüne zu füllen. Doch dazu später mehr.

Ablösefreie und günstige Zugänge

Auf der Zugangsseite legten Herthas Manager und sein Mitarbeiterstab rund um Kaderplaner Dirk Duffner das Hauptaugenmerk auf günstige Verstärkungen. Der einzige Neuzugang, für den man unmittelbar Geld auf den Tisch legen musste, ist Mittelstürmer Wilfried Kanga, der für 4 Millionen Euro aus Bern kam. Offiziell flossen zusätzlich 2 Millionen Euro nach Fürth um Jessic Ngankam „zurückzukaufen“, der nach der letztjährigen Leihe von den Kleeblättern per Kaufoption für 1,5 Millionen Euro fest verpflichtet wurde. Die weiteren Neuzugänge rund um Jonjoe Kenny (Everton) oder Filip Uremovic (Rubin Kazan) kamen zum Nulltarif. Daneben verstärkte man den Kader mit Leihen von Chidera Ejuke (ZSKA Moskau) und Ivan Sunjic (Birmingham).

Außerdem erhielten noch einige Jugendspieler wie Derry Scherhant oder Julian Eitschberger ihre ersten Profiverträge, werden aber sicher zunächst sukzessive an die Bundesliga herangeführt. Unterm Schlussstrich steht damit inklusive Leihgebühren ein Transferplus von etwa 18 Mio Euro, für die klammen Kassen der Blau-Weißen ein willkommener Geldregen.

Verbesserte Gehaltsstruktur bei Hertha

Neben den reinen Transfererlösen ist allerdings ein weiterer Punkt nicht zu vernachlässigen: die Gehälter. In den letzten Jahren von Michael Preetz (auch vor Windhorst) begann Hertha, hohe und zum Teil sehr hohe Gehälter zu zahlen. Ohne die Spieler verurteilen zu wollen, sind die Bezüge von Akteuren wie Davie Selke oder Vladimir Darida in keinem angemessenen Verhältnis zu deren sportlichen Leistung. Von den Deals ab Sommer 2019, allen voran Lucas Tousart und Krzysztof Piatek, ganz zu schweigen. Um mittel- und langfristig finanziell gesunden zu können, ist es unabdingbar, die Gehaltsstruktur wieder zu entschlacken und der aktuellen sportlichen Leistungsfähigkeit anzupassen. Über die Höhe der Gehälter kann natürlich nur spekuliert werden, doch es ist davon auszugehen, dass Hertha nach diesem Sommer Gehaltseinsparungen im zweistelligen Millionenbereich wird verbuchen können.

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Photo by Alexander Hassenstein/Getty Images

Hierbei helfen natürlich auch die bereits angesprochenen Leihen. Mit Abgängen wie Krzysztof Piatek (Salernitana), Dedryck Boyata (Brügge) und Niklas Stark (Werder Bremen) wird man einige Großverdiener los, wenn auch zum Teil erst einmal nur zeitweilig. Auf der anderen Seite ist davon auszugehen, dass kaum ein Neuzugang mehr als 1,5 bis maximal 2 Millionen Euro verdienen wird. Bezieht man die reine Quantität auf Zu- und Abgangsseite mit ein, ergibt sich eine deutliche Einsparung an Gehältern bei gleichzeitiger Senkung des allgemeinen Gehaltsniveaus.

Fazit: Fredi Bobic konnte ein Transferüberschuss in Höhe von fast 20 Mio Euro erzielen, hat dabei die Gehaltsstruktur weiter korrigiert. Der ein oder andere weitere Festverkauf statt Leihe wäre wünschenswert gewesen, realistisch aber vermutlich kaum umsetzbar. Note: 1-

Problembaustellen und sportliche Qualität

Kommen wir zum „Herzstück“ und der entscheidenden Frage nach jeder Transferphase: Ist der finale Kader qualitativ ausreichend besetzt, um das sportliche Ziel realistisch erreichen zu können? Auch hierbei ist der Blick auf die vergangenen Jahre zwingend mit einzubeziehen. Nach drei Saisons Abstiegskampf ist klar, dass auch die Mannschaft mittlerweile klar zum unteren Bundesligadrittel in Hinblick auf die Qualität gehört. Dementsprechend sollte niemand einen Kader erwarten (dürfen), der in diesem Jahr mit hoher Wahrscheinlichkeit nichts mit dem Abstiegskampf zu tun haben wird.

Neue Außenspieler

Würde man die Fans von Hertha BSC nach der aus ihrer Sicht größten Problembaustelle der letzten Saison fragen, würden viele sicher die Flügelspieler nennen. Nachdem Fredi Bobic im vergangenen Transfersommer von den wenigen nominellen Außenstürmern sogar noch welche abgegeben hatte, mussten alle drei Trainer auf Notlösungen wie Suat Serdar, Vladimir Darida und Jurgen Ekkelenkamp auf diesen Positionen zurückgreifen. Mit der Leihrückkehr von Dodi Lukebakio und der Verpflichtung von Chidera Ejuke konnte man diese eklatante Lücke schließen. Dazu kommen Marco Richter und andere Optionen wie Jessic Ngankam und Myziane Maolida. Und auch auf der rechten Verteidigerposition konnte man den dienstältesten Herthaner, Peter Pekarik, mit der Verpflichtung von Jonjoe Kenny etwas entlasten. Ansonsten wurden so gut wie alle Abgänge positionstreu zumindest quantitativ ersetzt.

Zu nennen ist auf jeden Fall noch die Situation im Tor. Nach dem ungeplanten Quasi-Abgang von Rune Jarstein fehlt ein erfahrener Back-Up Torwart. Für Stammtorhüter Olli Christensen ist der Vertrauensbeweis möglicherweise das richtige Zeichen. Doch es ist auch ein Spiel mit dem Feuer. Sollte der junge Däne ausfallen oder in ein ernsthaftes Formtief fallen ist es fraglich, ob Tjark Ernst (von Bochum gekommen) oder Robert Kwasigroch die Lücke füllen können.

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Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images

Wacklige Hertha-Defensive

Nachdem die Frage über die ausreichende quantitative Besetzung im Großen und Ganzen positiv beantwortet werden konnte, bleibt jedoch noch offen, ob das auch auf die Qualität zutrifft. Es sei noch einmal der Hinweis auf die Entwicklung der letzten Jahre gegeben, doch am Ende muss Bobic es dennoch schaffen eine Truppe zusammenzustellen, die erfolgreich in der Bundesliga bleiben kann. Neben einem Fortschritt in der grundlegenden sportlichen Entwicklung und Einübung eine neuen, aktiven Spielstils ist der Klassenerhalt auch in diesem Jahr das klare Ziel. Und hieran darf zumindest diskutiert werden.

Gerade in der Defensive gibt es das ein oder andere Fragezeichen. In der Innenverteidigung fehlt der klare Anführer und „sichere Fels in der Brandung“. Auf rechts ist Kenny eine solide Wahl, aber mit ehemaligen Spielern wie Valentino Lazaro oder Mitchell Weiser nicht vergleichbar. Das ehemalige Prunkstück, die diese Position bei Hertha einst war, wartet noch immer auf einen würdigen Nachfolger. In Hinblick auf die linke Verteidigerseite geht man in eine weitere Saison mit Maxi Mittelstädt und Marvin Plattenhardt, die jeweils verschiedene Schwachstellen mitbringen, mit dem aktiven Verteidigen bzw. starken Flanken jedoch durchaus auch positive Aspekte aufs Feld bringen können. Ein Hoffnungsschimmer bei den Außenverteidigern stellen die Eigengewächse Julian Eitschberger und Lukas Ullrich dar, die im Laufe der Saison eventuell die ein oder andere Minute sammeln können.

Auf jeder Position doppelt besetzt

Eine weitere Position auf der es eventuell ebenfalls problematisch werden könnte, ist die des Mittelstürmers. Zwar kann Hertha dort auf eine Vielzahl von Spielern zurückgreifen, doch so hundertprozentig überzeugen kann keiner. Es bleibt abzuwarten, ob sich Wilfried Kanga an die Bundesliga gewöhnen wird und wie die Entwicklung von Nachwuchsspieler Ngankam voranschreitet. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die „Alte Dame“ auf so gut wie jeder Position doppelt besetzt ist. Allein dies war in den vergangenen Jahren nicht unbedingt der Fall.

Des Weiteren sollte zumindest die bestmögliche Stammelf, wie auch immer sie nach persönlicher Präferenz aussieht, definitiv konkurrenzfähig sein. Bei den Back-Up Optionen wird es auf der ein oder anderen Position allerdings durchaus eng. Mit Spielern wie Prince Boateng und Stevan Jovetic hat man jedoch zumindest noch die ein oder andere Möglichkeit, die dem Kader eine gewisse Variabilität gibt, selbst wenn die Altstars beileibe nicht mehr stamm spielen können. Hinzu kommen ein paar vielversprechende Nachwuchsspieler, die in Anbetracht der Konkurrenz durchaus Chancen auf Einsätze haben dürften.

Fazit: Fredi Bobic hat es geschafft, dass der Kader von Hertha für die eigenen Verhältnisse keine eklatanten Baustellen aufweist. Das war vor allem in der letzten Saison noch anders. Qualitativ könnte es an der einen oder anderen Stelle allerdings dünn werden. In Anbetracht der letzten Jahre wäre aber auch ein kleines Wunder nötig gewesen, um auf jeder Position doppelt hochwertig genug besetzt zu sein. Note: 2+

Langfristige Planung bei Hertha

Es heißt ja oft, man solle im „Hier und Jetzt“ leben. Ein in vielerlei Hinsicht sehr weiser Ratschlag, doch man sollte die Zukunft dabei trotzdem nicht komplett aus den Augen verlieren. Und so wollen wir auch bei Hertha einen Blick auf die Situation im nächsten Sommer werfen. In Anbetracht der Kaderplanung ein nicht zu vernachlässigender Teil, der daher bei der Bewertung von Bobic zumindest nicht unerwähnt bleiben sollte.

Leihrückkehrer

Wie bereits angesprochen, musste man auch dieses Jahr auf ein paar Leihen zurückgreifen, um den Kader zu verschlanken sowieso Ausgaben zu reduzieren.  Unter dem finanziellen Aspekt die richtige Entscheidung, sofern Festverkäufe tatsächlich nicht möglich waren. Unter dem Gesichtspunkt der Kaderplanung im nächsten Jahr könnte daraus allerdings das ein oder andere Problem entstehen. Man wird sich, sollten die Kaufoptionen bei Ascacibar, Piatek und Co. nicht gezogen werden, erneut zunächst erst einmal auf Verkäufe kümmern müssen, bevor Neuzugänge präsentiert werden können. Zumindest im defensiven Mittelfeld hat man mit Ivan Sunjic immerhin selbst vorerst nur eine Leihe getätigt, sodass hier keine unmittelbare Überfüllung droht. Und auch Chidera Ejuke, dessen Vertrag bei seinem Stammverein ZSKA Moskau noch bis 2024 läuft, wird Stand jetzt erst einmal wieder weg sein. Wie es mit der sogenannten „Russland-Regel“ weitergeht, ist jedoch noch völlig offen. Fest planen sollte man mit einem Verbleib Ejukes aber bei Weitem nicht.

Photo by Christian Kaspar-Bartke/Getty Images

Auslaufende Verträge

Ein weiterer Punkt sind die Spieler, deren Verträge bei Hertha im nächsten Sommer enden. Eine jahrlange Achse rund um Vladimir Darida, Peter Pekarik und Davie Selke geht in das letzte Vertragsjahr, auch Stevan Jovetic und Prince Boateng werden nach dem nächsten Sommer mit hoher Wahrscheinlichkeit weg sein. Positiv festzuhalten ist, dass keiner der Genannten unumstrittener Stammspieler oder Leistungsträger ist. Des Weiteren sind einige dieser Verträge wahrscheinlich (zu) hoch dotiert, sodass man ohne Mehrarbeit das Gehaltsbudget weiter entlasten kann. Inwiefern Bobic für diese Situation verantwortlich ist, kann zumindest bezweifelt werden. Weder hat ist er für die Gehälter noch die Vertragsenden verantwortlich, beides fällt in den Verantwortungsbereich von Michael Preetz. In der Bewertung des aktuellen Managers daher tendenziell ein Nullsummenspiel.

Interessant wird es auf der linken Verteidigerposition, wo die Verträge sowohl Mittelstädt als auch Plattenhardt noch nicht verlängert wurden. Mindestens einer von beiden wird über dieses Jahr hinaus wahrscheinlich nicht bei Hertha verbleiben. Mit Blick auf Nachwuchsspieler Ullrich (dessen Vertrag auch ausläuft), dem man eine Perspektive aufzeigen möchte, ein notwendiger Schritt. Hier wartet ein wenig Arbeit auf Fredi Bobic.

Aufgrund des radikalen Umbruchs der letzten Jahre sind die meisten aktuellen Spieler noch recht langfristig an Hertha gebunden. Einzig Dodi Lukebakio wird im nächsten Sommer in sein letztes Vertragsjahr gehen. Wie es mit ihm weitergehen wird, hängt stark von der Leistung des Belgiers in dieser Saison ab. Festhalten lässt sich, dass Bobic seinen großen Umbau mit dem nächsten Sommer vorläufig wird abschließen können. Es wird zu diesem Zeitpunkt kaum einen Spieler von vor seiner Amtszeit verblieben sein, spätestens dann ist er zu 100 Prozent für den Kader verantwortlich. Mit den vorprogrammierten Abgängen wird es automatisch etwas mehr Platz bei Hertha geben, kaum mehr einen Spieler jenseits der 30. Der vorläufige Neustart ist dann wahrscheinlich abgeschlossen, wie es ab diesem Punkt weitergeht wird, hängt auch stark vom Abschneiden in dieser Saison ab. Das Bett für einen, im Vergleich zu den letzten Jahren, relativ gesunden Kader ist jedoch gemacht.

Fazit: Fredi Bobic hat die Weichen für einen komplett neuen Kader gelegt. Ein Selbstläufer wird es allerdings auch im nächsten Sommer nicht. Insbesondere auf der Zugangsseite wird wahrscheinlich einiges an Arbeit zu erledigen sein. Hinzukommen die Leihrückkehrer, für die man neue Abnehmer finden muss. Die auslaufenden Verträge kann man Bobic nicht zugutehalten, da diese nur bedingt in seiner Entscheidung liegen. Note: 2-

Fazit

Ein weiterer wilder Transfersommer liegt hinter Hertha BSC. Für Bobic war es bereits die dritte Transferphase, die unter seiner Verantwortung stand. Im Großen und Ganzen lässt sich ein positives Fazit ziehen. Er hat frühzeitig einen passenden Trainer verpflichtet und einen nicht gerade unbedeutenden finanziellen Überschuss erwirtschaftet, sowohl mit Ablösen als auch gesenkten Gehaltskosten. Über die sportliche Qualität lässt sich streiten, man ist allerdings immerhin auf jeder Position doppelt besetzt. Es gibt ein paar Abstriche in der qualitativen Tiefe des Kaders, in Anbetracht von mehreren Jahren Abstiegskampf am Stück jedoch kaum vermeidbar. Für den nächsten Sommer ist man halbwegs solide aufgestellt, ein allzu großer Ausverkauf wird aller Voraussicht nicht notwendig sein. Negativ zu bewerten sind die erneuten Leihen, da man hier wahrscheinlich wieder Abnehmer wird suchen und sich auf einige Kompromisse hinsichtlich Ablöse einlassen müssen.

Von Bobic wird man erwarten, weitere sportliche Qualität zum kleinen Preis hinzuzufügen, um mittel- und langfristig eine Etablierung in der Bundesliga zu erreichen und den Blick dann eher nach oben als nach unten richten zu können. Für diesen Transfersommer hat der Manager eine sehr solide Arbeit geleistet und sich nach dem verkorksten letzten Jahr ein klein wenig rehabilitiert.

Gesamtnote: 2

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[Titelbild: Photo by Martin Rose/Getty Images]