Weeste noch? Europapokal-Sieg gegen Brøndby – Höhenflug vor dem Absturz

von Apr 24, 2020

Wichtiger Sieg in einem K.O.-Spiel, tanzende Spieler vor dem Fanblock, totale Ekstase bei allen Hertha-Fans vor dem Fernseher und im Stadion. Oft erleben wir Herthaner*innen so etwas nicht. Der 27. August 2009 war aber so ein Tag. Durch einen spektakulären Last-Minute-Sieg gegen Brøndby IF aus Kopenhagen sicherte sich Hertha die Teilnahme an der Europa League Gruppenphase. Weil sich eine gut eingespielte Mannschaft aber schon zu diesem Zeitpunkt in Auflösung befand, sollte dieser begeisternde Sieg aber für eine sehr lange Zeit der letzte schöne Moment für Hertha BSC bleiben.

Um zu verstehen, warum ein Einzug in die Europa-League-Gruppenphase eine solche Freude erzeugen kann, muss man einige Monate zurückblicken, nämlich auf die letzten Spieltage der Saison 2008/2009. Hertha spielte mit seinem Trainer Lucien Favre gerade im Frühjahr 2009 eine wahnsinnig gute Saison. Marko Pantelic und Andrij Voronin waren ein extrem effektives Sturmduo, an Arne Friedrich und Joe Simunic in der Innenverteidigung war nur schwer vorbeizukommen und Pal Dardai und Cicero waren das spielmacherische Gehirn einer Mannschaft, die von Favre wie ein Schweizer Uhrwerk zusammengebaut wurde. Am 22. Spieltag, also Ende Februar, rückte Hertha an die Tabellenspitze der Bundesliga vor, wo das Team drei Wochen lang verweilte.

Ein enttäuschendes Ende einer überragenden Saison

Doch dann kam das Saisonende 2008/2009. Hertha verlor ein Spiel nach dem anderen. Am letzten Spieltag hatte Hertha die Chance, mit nur einem Punkt (!) gegen schon abgestiegene Karlsruher die Teilnahme an der Champions League noch festzuhalten. Man verlor mit 0:4. In den folgenden Wochen wurde es dann eigentlich noch schlimmer. Denn diese toll eingespielte Mannschaft brach komplett auseinander: Mit Pantelic und Voronin verlor der Verein mit einem Schlag ein gefürchtetes Sturmduo. Artur Wichniarek sollte die beiden in seiner zweiten Hertha-Amtszeit ersetzen, was kläglich scheiterte. In der Abwehr verlor Hertha mit Simunic viel Stabilität, der Schweizer Steve van Bergen konnte diese nie wieder herstellen.

Foto: Matthias Kern/Bongarts/Getty Images

Und so musste man sich im Spätsommer 2009 mit der Europa-League-Qualifikation zufriedengeben. Das erste Spiel im Kopenhagener Stadtteil Brøndby bestätigte dann auch leider das Gefühl, mit dem man im Frühling aus der Vorsaison gegangen waren. Hertha spielte schlecht und verlor 1:2 gegen ein dänisches Team, das nicht einmal viel unternahm, um das Spiel zu gewinnen. Am 27. August 2009 sprach also schon im Vorfeld leider wieder sehr viel gegen einen Hertha-Sieg. Hinzu kam, dass das Spiel im Jahn Sportpark im Prenzlauer Berg stattfand – ein Stadion, das nicht bei vielen Hertha-Fans Heimatgefühle auslöst.

Es brauchte ein Wunder

Doch das Spiel begann besser als erwartet. Hertha hatte schon in der ersten Halbzeit einige Chancen. Insbesondere der junge Serbe Gojko Kacar machte eine unglaublich gutes Spiel und war gefühlt an jedem Kopfball-Zweikampf im gegnerischen Strafraum beteiligt. Der größte Ärger zum Halbzeitpfiff bestand eigentlich darin, dass Hertha noch kein Tor geschossen hatte – schließlich brauchten die Berliner derer mindestens zwei. Jegliche Hoffnung wurde kurz nach Wiederanpfiff dann aber im Keim erstickt. Nach einer unglücklich geklärten Ecke blieb der Ball im Hertha-Strafraum, wo er vor die Füße von Morten Rasmussen fiel, der ohne Gegenwehr einnetzte. 39 Minuten auf der Uhr, drei Tore benötigt.

Foto: Matthias Kern/Bongarts/Getty Images

Die Gefühlslage nach diesem Tor war klar: Für eine in weiten Teilen neu zusammengestellte Mannschaft, die übrigens von den ersten drei Bundesligaspielen auch schon zwei verloren hatte, konnte man eine Rückkehr nicht mehr erwarten. Doch das Gegenteil sollte passieren. Hertha spielte sich in einen Rausch, angeführt von einem genialen Gojko Kacar. Nach einer Ecke in der 74. Spielminute ging dann endlich mal einer der zig Trilliarden Kacar-Kopfbälle rein. Nur fünf Minuten später bekam Dardai etwa 20 Meter vor dem Tor den Ball, legte ihn sich kurz zurecht und schmetterte ihn dann zum 2:1 ins Tornetz. Kein langer Jubel, es ging sofort weiter, denn es brauchte noch ein Tor und auf der Uhr waren nur noch zehn Minuten. Es sollte erneut Kacar sein, der Hertha in der 87. Minute erlöste. Nemanja Pejcinovic schlug eine hohe Flanke von links hinein, der Serbe sprang auf den ersten Blick einen halben Meter höher als sein Gegenspieler, ein Kopfball wie ein Schuss, Tor. 3:1. Innerhalb von zwölf Minuten hatte Hertha das Spiel gedreht.

Wie schon beschrieben, folgte dann die totale Ekstase. Die Spieler rannten nach Abpfiff Richtung Fanblock, wo schon hunderte Hertha-Fans – wegen der Hitze in vielen Fällen nur noch spärlich bekleidet – die Spieler jubelnd empfingen. Ein gewisser Patrick Ebert kletterte am Zaun hoch und sang gemeinsam mit den angereisten Anhänger*innen, der Rest des Teams tanzte davor. Es war so schön.

Der tiefe Fall

Leider allerdings war es zu schön, um wahr zu sein. In der Europa League überstand Hertha zwar die Gruppenphase, um dann im ersten K.O.-Spiel auszuscheiden. In der Bundesliga folgte auf das Brøndby-Spiel aber eine beispiellose Negativserie. Nach der Hinrunde stand Hertha mit sagenhaften sechs Punkten da, Favre wurde noch während der Hinrunde gefeuert, Friedhelm Funkel übernahm. Aber auch in der Rückrunde konnte Hertha das Ruder nicht mehr herumreißen, Hertha stieg mit 24 Punkten sang- und klanglos aus der Bundesliga ab.

Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images

Falls ihr dennoch einmal in die Emotionen des 27. August 2009 im Jahnsportpark eintauchen wollt, gibt es eine kurze Zusammenfassung des Spiels auf Youtube.

Hilfe für die Ukraine!

Um den Menschen in der Ukraine zu helfen, hat sich die Gruppa Süd entschlossen, Geld zu sammeln und damit die Menschen in und um die Kriegsgebiete zu unterstützen. Davon werden speziell Hygieneartikel für Frauen und Babys sowie haltbare Lebensmittel gekauft. Die Spenden werden direkt an die polnisch-ukrainische Grenze geliefert, sodass den Menschen unmittelbar geholfen wird.

ÜBER DEN AUTOR

Benjamin Rohrer

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